Eines der größten Museumsprojekte der Welt wurde in Stuttgart mitgestaltet. Im Atelier von Shirin Brückner wartet man seit Monaten, dass das Grand Egyptian Museum endlich eröffnet wird.
Es bräuchte nur eine E-Mail – und Shirin Brückner würde alles stehen und liegen lassen, ihr Köfferchen packen und in den nächsten Flieger nach Kairo steigen. Man wird schließlich nicht alle Tage eingeladen zur Eröffnung eines Museums von Weltrang. Das neue Grand Egyptian Museum vis-à-vis der berühmten Cheopspyramide wird die wertvollsten Erbstücke zeigen, die Ägypten zu bieten hat: den Schatz von Tutanchamun, seine Totenmaske, die riesige Statue von Ramses II. und die Mumie von Hatschepsut. Es sei ein „Geschenk Ägyptens an die Menschheit“, behauptet die ägyptische Regierung vollmundig und hat recht. Man rechnet mit 15 000 Besuchern pro Tag – wenn man denn endlich eröffnet.
Doch die E-Mail, auf die Shirin Brückner seit Monaten wartet, kommt und kommt nicht. Dabei sollte die Chefin des Ateliers Brückner eigentlich eine der Ersten sein, die eine Einladung bekommt. Schließlich war das Stuttgarter Büro maßgeblich beteiligt. Es hat die Ausstellung zu Tutanchamun gestaltet, dem legendären König und Pharao im alten Ägypten. Als der Ägyptologe Howard Carter vor hundert Jahren sein Grab entdeckte, war es eine Sensation, weil es als eines der wenigen Gräber nicht von Räubern gefleddert worden war. Die Funde sind so reichhaltig und kostbar, dass damit ein komplettes Museum bestückt werden kann.
Die Kollegen hielten Shirin Brückner für verrückt
5000 Objekte haben die Stuttgarter nun „in eine Erzählung gebracht“. Das ist, was Shirin Brückner am wichtigsten ist: Storytelling. Also all die Statuen und Holzdosen, die mit Edelsteinen verzierten Amulette und Waffen, Instrumente und Gefäße nicht einfach dekorativ in Vitrinen stellen, sondern dabei wie nebenbei gleich zwei Geschichten vermitteln: Wer dieser Tutanchamun eigentlich war, und wie er lebte. Und wie Carter das Grab entdeckte.
Nicht nur die Größe dieses neuen Museums ist mit seiner Fläche von 90 000 Quadratmetern gigantisch. Das Atelier Brückner hat mit seinen 120 Angestellten schon manches große Projekt gestemmt, ob das BMW-Museum in München, das Naturkundemuseum Oslo oder das King Abdulaziz Center for World Culture in Dhahran. Das Grand Egyptian Museum – kurz GEM – war eine besondere Herausforderung. „Alle haben gesagt: Du bist wahnsinnig, du treibst uns in den Ruin“, erzählt Shirin Brückner. Sie aber war fest davon überzeugt, dass es eben auch „eine wahnsinnige Chance ist“.
Ein Projekt von Weltrang
Das GEM ist aus ihrer Sicht „einer dieser Meilensteine“, der in einer Reihe stehe mit dem Louvre oder dem British Museum. Shirin Brückner hatte der Ehrgeiz gepackt, deshalb gab es für sie nur eine Option: „Hinsetzen, Ärmel hochgekrempelt und versuchen, alles zu geben, um den Auftrag an Land zu ziehen.“ Mit dem Zuschlag hat sich das Atelier Brückner endgültig in die allererste Liga der Museumsgestalter katapultiert.
Das sagt sich so dahin. In Wahrheit stecken dahinter Fleiß, angespannte Nerven und lange Nächte. Denn in dem Büro in einem alten Fabrikgebäude in der Nähe des Römerkastells in Bad Cannstatt sitzen auch nur Menschen – und für die war der Auftrag in erster Linie „eine Riesenaufregung“, wie Brückner sich erinnert. Denn nachdem die erste Hürde genommen war und man Referenzen und Umsätze nachgewiesen hatte, musste plötzlich alles ganz schnell gehen. Sie hatten gerade mal sechs Monate Zeit, um ihr Konzept auszuarbeiten. „Da würden wir in Deutschland fünf Jahre dran arbeiten.“
Vier Wochen lang hat die Architektin erst einmal online Bewerbungsgespräche geführt. Freitags wurde entschieden, wer eingestellt wird – und nach vier Wochen waren 20 Verträge unterschrieben. Dabei war es eher Zufall, dass das Team fast nur aus Frauen aus aller Welt bestand, die sich erst einmal daran gewöhnen mussten, dass sie es bei diesem Projekt vor allem mit Männern in Uniform zu tun hatten. Bauherr des GEM ist das ägyptische Militär, sodass jeder Handgriff nicht nur mit den Kuratoren, sondern auch mit Generälen abgestimmt werden mussten. „Die sind es gewohnt, Ansagen zu machen“, sagt Shirin Brückner. Wobei Auftraggeber das ja immer machen könnten.
Die Post ließ die Stuttgarter im Stich
Jeden Monat flog eine Delegation nach Kairo, um die Fortschritte des Projekts zu präsentieren. „Der hohe Chef wollte sehen, dass es läuft.“ Und Brückner musste auch schauen, „dass wir nicht unter die Räder geraten“. Bei einem Projekt dieser Größenordnung sind viele Akteure mit sehr unterschiedlichen Interessen beteiligt. Wenn dann hundert Leute um einen Tisch sitzen, wird man auch mal von allen Seiten beschossen. „Da muss man spontan reagieren.“
Natürlich lief nicht immer alles, wie man sich das wünschen würde. Mal hätte sie bei einer wichtigen Präsentation fast das Flugzeug verpasst, weil sie in Italien eine Autopanne hatte. Als die Ausdrucke der Entwürfe mit der Post geschickt werden sollte, hing das Paket tagelang in Frankfurt fest. Also hat Shirin Brückner stundenlang gegoogelt und die Unterlagen schließlich an zehn verschiedene Copyshops in Kairo geschickt. Einer hat geantwortet, dass er den Auftrag über Nacht erledigen könnte. Das war ihre Rettung.
Das Museum als Symbol nationaler Identität
Das Grand Egyptian Museum hat enorme Bedeutung für Ägypten, das sich in der internationalen Konkurrenz letztlich nur durch sein kulturelles Erbe behaupten kann. Das neue Museum in Gizeh schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern soll den Tourismus und damit die Wirtschaft des Landes stärken. Für die Militärregierung ist das Prestigeprojekt aber auch ein wichtiges Symbol und Ausdruck der nationalen Identität. Seit das Museum vor mehr als 20 Jahren angekündigt wurde, hatte man viele Hürden zu nehmen. Es gab politische Unruhen, Finanzierungsprobleme und Bauverzögerungen. Aber warum wird die Eröffnung jetzt, da alles fertig ist, immer noch weitergeschoben, statt die Werbetrommel zu rühren für dieses Spektakel, das weltweit interessiert?
Die Eingangshalle ist bereits eröffnet
Auch im Atelier Brückner hat niemand eine Erklärung – und auch keine Ansprechpartner in Kairo, die Informationen geben. Das Kindermuseum, das ebenfalls in Stuttgart konzipiert wurde, ist bereits zugänglich. Auch für die Eingangshalle mit der riesigen Ramses-Statue kann man inzwischen Tickets buchen. Shirin Brückner schaut immer mal wieder ins Internet, ob es Neuigkeiten gibt, und hält es so wie seit nunmehr zwei Jahren: „Wir warten einfach.“
Wenn die Stuttgarter etwas von dieser Zusammenarbeit gelernt haben, dann Pragmatik. „Es ist ein großes Projekt, in das man sich einordnen muss“, sagt Shirin Brückner. Das bedeutete eben auch, mit vielen ungewohnten Problemen und allerhand Misslichkeiten umzugehen. Ob es „der schlechteste Beamer der Welt“ war, mit dem sie ihre Pläne präsentieren mussten. Oder ob es die großen Rolltreppen waren, die zwei Jahre lang verpackt vor dem Gebäude lagen und Wind, Wetter, Sandstürmen standhalten mussten.
Eine der wohl schwierigsten Entscheidungen war: Wo und wie soll die Totenmaske von Tutanchamun, der mit nur 18 Jahren starb und sicher nicht so ein gut aussehender junger Mann war, wie das goldene Prachtstück vermuten lässt, präsentiert werden? Es gab viele Parameter zu berücksichtigen. Als Höhepunkt des Grabschatzes soll die Maske nicht zu früh in der Ausstellung stehen – muss aber auch flott erreichbar sein, damit die eiligen Reisegruppen wieder pünktlich im Bus sitzen, um zum nächsten Programmpunkt zu fahren. Die mit Edelsteinen verzierte Maske muss im Notfall sofort evakuiert werden können und außerdem gut erreichbar sein für VIPs, damit die mit ihrer Entourage nicht wie das übrige Publikum den gesamten Parcours ablaufen müssen.
Das Stuttgarter Büro musste auch nachweisen, dass 15 000 Besucher pro Tag elegant durch den Raum geleitet werden können, der trotz Menschenmassen intim sein sollte und zugleich würdig.
Im alten Museum flogen Vögel umher
„Es gab tausend Fragen, die auf dem Weg entschieden werden mussten“, erzählt Shirin Brückner. Von der Vitrine bis zur Glühbirne, vom Podest bis zum Deckenelement – alles musste konzipiert und bei Firmen im In- und Ausland in Auftrag gegeben werden. Im alten Ägyptischen Museum waren die tausende Jahre alten Schätze oft ungeschützt ausgestellt. Vögel flogen durch die offenen Fenster und hinterließen gern auch mal ihre Spuren auf Objekten und Vitrinen. Im GEM hat man dagegen „höchste konservatorische Rahmenbedingungen“, sagt Brückner.
Wenn das Publikum irgendwann tatsächlich kommen darf, wird es nicht ahnen, dass die Realisierung eines solchen Projektes keineswegs nur grandios und schillernd ist, sondern oft auch „sehr schwer“, so Shirin Brückner. Plötzlich kollidierten die Bodenelemente mit den Lüftungskanälen, dann wieder musste man bei den Materialien Kompromisse machen. Hier wurden die Stuttgarter Gestalter plötzlich „vor vollendete Tatsachen gestellt“, dort tauchte mitten in der Ausstellung „kitschiges Zeug“ auf.
„In der Summe fühlt es sich gut an.“
Oft konnten die Stuttgarter Gestalter überzeugen, manchmal nicht. Bei den Haltern, auf denen die wertvollen Exponate präsentiert werden, zogen sie den Kürzeren. Shirin Brückner hofft, dass sie einigermaßen passabel ausschauen, gesehen hat sie sie noch nicht. Die Kolleginnen sind zwar immer wieder in Gizeh, aber auch sie dürfen nicht mehr alle Bereiche des Museums betreten und müssen sogar ihre Handys abgeben, weil keine Fotos gemacht werden dürfen.
„In der Summe“, sagt Shirin Brückner, „fühlt es sich gut an.“ Es ist nicht nur ein schöner Erfolg, am größten archäologischen Museum der Welt beteiligt gewesen zu sein, diese Museum ist auch in Sachen Storytelling eine seltene Ausnahme. Denn gewöhnlich müssen die Gestalter kunterbunte Sammlungsbestände halbwegs logisch zusammenbringen. Im GEM konnten sie sich auf Tutanchamun konzentrieren und hatten es mit Objekten zu tun, „die Leute auch allein begeistern“, wie Shirin Brückner es sagt. Im Moment geht sie davon aus, dass sie vielleicht irgendwann im Mai ihren Koffer packt, um zum krönenden Finale nach Kairo zu eilen. So bleibt die Aufregung bis zum Schluss.