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Stuttgarts Rathaus wird rot – tief von innen heraus. Die Fotografin Silvie Brucklacher-Gunzenhäuser stellt neue „Rotraits“ an einem wichtigen Ort der Demokratie aus. Als „Liebeserklärung an die Stadt“ versteht sie ihre wachsende Sammlung. Eigenwillige Köpfe zeigen vor roter Kulisse, wie bunt Stuttgart ist.

Stuttgart - Rot ist die Farbe des Bluts und des Ferraris. Rot steht für die Wut und die Lust. Die Signalfarbe Rot ist die meistgewählte Farbe von Fußballmannschaften. An Orten, an denen Menschen beruhigt werden sollen, etwa in einem OP-Saal, sieht man niemals Rot. „Rot ist aufregend und bringt deine Gefühle in Wallung“, sagt Mascha Hülsewig, die mit ihrer Erotik-Boutique Frau Blum im Stuttgarter Westen viel mit dieser Farbe zu tun hat. Wollen Frauen einen Mann verführen, setzen sie gezielt Rot ein. Ein rotes T-Shirt reicht, um den männlichen Jagdtrieb auszulösen. Wenn eine Frau Rot trägt, so hat eine Studie zur Farbpsychologie nach der Befragung von 120 Studenten ergeben, glauben viele Männer, sie wolle Sex.

Die Farbe Rot – man sieht es hier mal wieder – ist äußerst klischeebeladen. Doch wie das mit Klischees ist, steckt oft auch Wahrheit drin. „Rot pusht“, sagt die Modefotografin und Stylistin Silvie Brucklacher-Gunzenhäuser, die dies seit zwölf Jahren spürt, da sie mit rotem Stoff durch die Stadt fährt. Vor ihrer stets roten Kulisse bildet sie selbstbewusste und eigenwillige Menschen für ihre Serie „Rotraits“ ab (zu sehen bis zum 29. Oktober im zweiten Stock des Stuttgarter Rathauses). Doch nicht allein das Rot im Hintergrund hat Mascha Hülsewig bei der Fotosession mit ihrer Schwester, der Performance-Künstlerin Nana Hülsewig, angespornt und beflügelt – es war auch die Fotografin selbst.

„Die Silvie versteht es, deine Emotionen zu mobilisieren“, sagt die jüngere der beiden Hülsewig-Schwestern, die einerseits in ihrer Erotik-Boutique Vibratoren und Dessous verkauft und andererseits als Pressesprecherin des Friedrichsbau Varietés eine Legende der Künste betreut.

Die „Fußbad-Lesung“ ist ein Renner

Beide Schwestern haben Bildhauerei studiert (Mascha an der Kunstakademie in Rom, Nana an der Kunstakademie in Stuttgart), beiden wohnen im selben Haus mit ihren jeweils 19-jährigen Kindern. Nana Hülsewig, Jahrgang 1964, und Mascha Hülsewig, Jahrgang 1966, kennen die Fotografin Silvie Brucklacher-Gunzenhäuser seit Kindheitstagen. Ihr Vater, ein Künstler, lebte in einer, wie man sie damals nannte, „Hippie-WG“, in der die junge Silvie, selbst ein Kind der wilden Blumen- und Apo-Zeit, oft vorbeischaute. Bei der Präsentation des StN-Buchs „Goht’s no?“, das aus den 333-Kolumnen entstanden ist, trafen sich die Fotografin mit dem Doppelnamen und Mascha Hülsewig kürzlich nach vielen Jahren im Königsbau wieder. Es sei schwer, prominente Frauen für die „Rotraits“ zu finden, sagte die Macherin der Wanderausstellung.

Wieder einmal ist Mascha mit ihrer Schwester Nana verwechselt worden, die mit dem Performance-Ensemble Nana & Friends in der Stuttgarter Kunstszene mit schrägen und hintergründigen Inszenierungen für Aufsehen sorgt. Bei der „Fußbad-Lesung“ etwa erscheint sie mit einer Kollegin als gestrenge Krankenschwester – und das Publikum rätselt, ob es in eine Wellness-Oase oder in die Psychiatrie geraten ist.

Mascha klärte auf, dass mal wieder die ältere Schwester gemeint war – das brachte Silvie Brucklacher-Gunzenhäuser auf die Idee, das Geschwisterpaar gemeinsam vor die Kamera zu bitten. Das Ergebnis kann nun im Stuttgarter Rathaus bewundert werden – man sieht zwei Frauen, die eng miteinander verbunden sind.

Fritz Kuhn hatte nur 20 Minuten Zeit

Zur Vernissage ihrer vierten Rathaus-Ausstellung weilte die Künstlerin im Urlaub in den Bergen, weshalb sie für Donnerstag, 22. Oktober, 19 Uhr, zur „Midissage“ lädt, zur Halbzeit-Feier. Zu den Neuzugängen an den Wänden zählt OB Fritz Kuhn, bei dem alles schnell gehen musste – er wollte sich nur 20 Minuten Zeit nehmen fürs Fotografieren. Jetzt hängt der grüne Rathauschef, der nun auch zu den Roten der Stadt zählt, ziemlich zentral. Wer die Treppen in den zweiten Stock hochläuft, läuft direkt auf ihn zu. Er befindet sich in der Mitte, zwischen den großformatigen Porträts von Peter Conradi und Lothar Späth.

Mit dem Torwart Timo Hildebrand – er war mit der Tochter der Künstlerin liiert – fing alles 2003 an. Für die „Rotrait“-Schau ließ er sich mit freiem Oberkörper ablichten. „Daraufhin meldete sich ein Prominenter nach dem anderen, um in meine Fotosammlung zu kommen“, sagt Silvie Brucklacher-Gunzenhäuser. Dabei sei es ihr völlig egal, wie berühmt jemand sei. Am liebsten würde sie „alle Stuttgarter“ vor roter Kulisse fotografieren, und mit diesen Bildern alle Stockwerke des Rathauses schmücken. Leisten kann sie sich das nicht. Wie so oft erfordert Kunst auch hier Liebe und Engagement, ohne dass man dabei auf seine Unkosten kommt. 600 Euro kostet ein „Rotrait“ – nur acht hat sie bisher verkauft.

Die Katzenallergie von Kabarettist Mathias Richling

Einer ihrer Porträtierten war der Kabarettist Mathias Richling. „Er hat eine Katzenallergie, und da meine vielen Kätzchen im Studio herumlaufen, war das ein großer Kampf, ihn vor die Linse zu bekommen“, erinnert sich die Fotografin, die sich in der Stadt auch als Tierschützerin und Taubenfreundin einen Namen gemacht hat.

Beeindruckt war sie von der Vitalität von Anni Weigand, von Deutschlands ältester Puppenspielerin. Die 95-jährige Intendantin der Puppenbühne La Plapper Papp kam zu den Aufnahmen ganz in Rot: Roter Pullover, rote Mütze, rote Lippen.

Rot ist immer ein Statement. So dynamisch und anregend wie Rot ist ein Leben, das man mit Leidenschaft lebt.