Fritz Kuhn trägt sich ins Goldene Buch der Stadt ein – links steht OB Nopper am Rednerpult. Foto:  

OB Nopper bescheinigt seinem Vorgänger, dass er Spuren hinterlassen habe, und nennt ihn eine Ausnahmeerscheinung. Der Geehrte selbst legte den Anwesenden eine „ganz zentrale Aufgabe“ ans Herz.

Stuttgart - Fritz Kuhn hat jetzt eine Urkunde mehr – und die Stuttgarter Bürgermedaille. Die wird ihm allerdings erst noch nachgereicht, wenn sie gegossen und graviert ist. Am Donnerstagnachmittag ist der Grüne, der von Anfang 2013 bis Ende 2020 das Stuttgarter Stadtoberhaupt und Chef der Verwaltung war, mit dieser Ehre bedacht worden. Es war eine Zeremonie im Rahmen einer Gemeinderatssitzung in der Carl-Benz-Arena. Es war auch ein Abschied vom Gemeinderat, den die Coronasituation am Jahresanfang verhindert hatte. Er war nicht ohne eine gewisse Pikanterie. Der Grund: Die Mehrheit des Gemeinderats hatte Kuhn nicht die Ehrenbürgerwürde verleihen wollen, die den beiden Vorgängern zuteilgeworden war.

Nur die Grünen im Gemeinderat hatten sich in den Wochen vor dem Ende von Kuhns Amtszeit dafür erwärmen können. Die anderen waren dagegen. Die CDU begründete dies damit, dass Manfred Rommel und Wolfgang Schuster (beide CDU) länger im Amt gewesen seien, Schuster vor der OB-Zeit auch schon Bürgermeister im Stuttgarter Rathaus gewesen sei. So gesehen sei die Bürgermedaille eine angemessene Ehrung für Kuhn. SPD, Freie Wähler und FDP sahen es ähnlich. Das Linksbündnis hatte sogar Versäumnisse von Kuhn bei Klima-, Verkehrs- und Wohnungspolitik angeprangert.

Die Bürgermedaille ging an wichtige Persönlichkeiten

Die Bürgermedaille zu bekommen ist nun wahrlich auch nicht ehrenrührig. Denn sie wird auf Vorschlag von mindestens zwei Dritteln des Gemeinderats seit 1970 Persönlichkeiten zugedacht, die sich besondere Verdienste um Stuttgart erworben haben, die eine hervorragende Leistung vollbracht haben und in Stuttgart entweder geboren oder mit Stuttgart in besonderer Weise verbunden sind. Und man achtet darauf, dass nicht mehr als 30 lebende Persönlichkeiten sie besitzen. Frühere Träger sind etwa der Sozialwissenschaftler Max Horkheimer, die Künstler Otto-Herbert Hajek und Ben Willikens sowie der Unternehmer Berthold Leibinger.

Sein Nachfolger Frank Nopper (CDU) überreichte Kuhn, ehe sich dieser ins Goldene Buch der Stadt eintrug, die Urkunde zur Bürgermedaille. Er würdigte die „besonderen und wichtigen Verdienste“ Kuhns um Stuttgart und überhaupt seine politische Tätigkeit. Kuhn sei eine „Ausnahmeerscheinung“, „ein durch und durch politischer Mensch“. Mehr Grün als bei ihm gehe nicht, sagte Nopper mit Blick auf Kuhns Werdegang in Bund und Land, ehe er aus der Welt des Wortes und einer herausragenden parlamentarischen Karriere in Land und Bund in die Welt der realen Kommunalpolitik gekommen sei. Er habe stets mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben wollen. Kuhn habe im Rathaus nicht nur Akzente gesetzt, sondern mit seinem sachorientierten und realpolitischen Politikansatz auch Spuren hinterlassen, teilweise tiefe Spuren. Nopper nannte unter anderem: das Glätten der Wogen wegen Stuttgart 21 und die „weitgehende Befriedung“ der Stadtgesellschaft, das Aktionsprogramm für den Klimaschutz, das Nahverkehrs-Jobticket für die städtische Belegschaft, die Tarifreform beim Verkehrsverbund, die Schärfung des Bewusstseins für Gesundheitsrisiken auch durch den Feinstaubalarm, Kulturprojekte wie die Sanierung der Wagenhallen, den Neubau für die John-Cranko-Schule, die Vorbereitung der Opernhaussanierung und den Kauf der Villa Berg, aber auch die Unterbringung vieler Menschen in der Flüchtlingskrise 2015. Das letzte Jahr der Amtszeit sei von der Pandemie geprägt worden: „Er trug wesentlich dazu bei, dass die Stadt gut durch diese Krise kam“, sagte Nopper.

Lob dafür, dass Kuhn Kante zeigte

Als Chef der stärksten Fraktion trat dann Andreas Winter (Grüne) ans Rednerpult. Andere Fraktionsvorsitzende äußerten sich daher nicht mehr zu Kuhns Amtszeit. Winter hob hervor, Kuhn habe klare Kante gezeigt, wenn es nötig gewesen sei, etwa gegen Extremismus und die Ausgrenzung von Flüchtlingen, aber auch gegen Tricksereien der Automobilhersteller und für die Menschenrechte. Sein Name werde verbunden bleiben mit der Verkehrswende, weg von der autogerechten Stadt und hin zu einer Stadtplanung für die Menschen. Kuhn sei es nie um Leuchtturmprojekte gegangen, sondern um stetigen Wandel. Dafür habe er auch Kompromisse gesucht. Durch die Pandemie habe Kuhn die Landeshauptstadt mit Weitsicht und großem Bemühen um analytische Klarheit geführt.

Der Ex-OB hob hervor, ihm sei es darum gegangen, Stuttgarts Zukunftsfähigkeit zu verbessern, der Stadt eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, sowohl ökologisch wie auch sozial. Die Arbeit für Stuttgart sei ihm eine Ehre gewesen. Als spannend habe er immer die Verkehrspolitik empfunden. Kuhn lobte den großen Konsens in Sachen öffentlicher Nahverkehr. „Der Streit ging immer bei Radfahrthemen los.“ Er sei nach wie vor überzeugt davon, dass Verkehrspolitik eine Frage der Verteilung von öffentlichem Raum sei. Um eine Umverteilung komme man nicht herum. Insofern sei er gespannt, wie sein Nachfolger den von ihm angestrebten „Verkehrsfrieden“ verwirklichen könne.

Als „ganz zentrale Aufgabe“ legte Kuhn allen ans Herz, die Stadt gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Stuttgart müsse mehr für den Hochwasserschutz tun und konzeptionell auch Hitzewaldbränden vorbeugen, sagte er unter dem Eindruck der Bilder in den derzeitigen Fernsehnachrichten.

Wie Kuhn wurde, was er ist

Lebenslauf
 Vor 66 Jahren, am 29. Juni 1955, wurde Kuhn in Bad Mergentheim geboren. Er wuchs in Memmingen im Allgäu auf. Er studierte Sprachwissenschaften, und der Linguist arbeitete dann unter anderem an der Merz-Akademie in Stuttgart. Mit Waltraud Ulshöfer, die auch in Bad Mergentheim geboren wurde, die er aber in Stuttgart kennenlernte, hat er zwei Söhne, die erwachsen sind.

Politik
 Kuhn trat in jungen Jahren in die SPD ein, verließ die Sozialdemokraten allerdings wieder aus Enttäuschung über deren Umweltpolitik und das Bekenntnis von Regierung und Parlament zum Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung. Kuhn wurde schließlich Mitbegründer der Partei Die Grünen. Im Landtag war er zwölf Jahre lang deren Fraktionschef. Elf Jahre war er später – aus dem Wahlkreis Heidelberg heraus – Bundestagsabgeordneter und zeitweise auch hier Fraktionschef. Auch den Bundesvorsitz hatte er bei den Grünen zeitweise inne. Am  21. Oktober 2012 wählten die Stuttgarter ihn im zweiten Wahlgang mit 52,9 Prozent der Stimmen zum neuen Oberbürgermeister. Gegenkandidat Sebastian Turner, der mit Unterstützung der CDU kandidierte, erhielt 45,3 Prozent.