René Greiner träumt von einer Europareise. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

René Greiners blickt auf eine lange und bewegte Karriere in der Gastronomie zurück. Er kennt in Stuttgart so ziemlich jeden, der mal mit dem Gastrobereich und dem Nachtleben der Stadt zu tun hatte. Was ist seine Geschichte?

Stuttgart - Das Mineralwasser, sagt er der Kellnerin, hätte er bitte „still und zimmertemperiert“. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, wie René Greiner auf seine Mitmenschen wirkt. Der 57-Jährige mag kein „VIP“ sein, also keine sehr wichtige Person, aber er kennt so ziemlich jeden, der mal mit Stuttgarts Gastronomie und Nachtleben zu tun hatte. Am größten sei sein Respekt vor den wenigen, die all die Jahre durchgehalten haben, erzählt er: Klaus Schöning, Hanne Petzold, Franco Annunziata . . . Ihn selbst kennt man als Wirt etlicher Lokale. Außerdem war er mal BBQ-Meister, und er ist Fleischsommelier. „Den Kurs hab ich bei einer Tombola gewonnen.“ Falsche Eitelkeit kann man Greiner nicht vorwerfen.

Seine Gastro-Karriere begann 1979. Im Alter von 15 Jahren hat der Schüler als Aushilfe bei dem Mövenpick-Restaurant Silberkugel in der Klett-Passage angefangen. „Du kamst das Rollband runter, dann war geradeaus der Laden mit den runden Sitzgruppen“: Bei dieser Beschreibung bekommen die früheren Städtles-Geher feuchte Augen. Greiner hat hier seine Liebe zur Grillplatte entdeckt, dank dem Inder Kahn, der dort Burger brutzelte. „Ein legendärer Grillmaster“, schwärmt René Greiner heute noch beim Vormittagstee im Café Eduard’s – das Mineralwasser gab es nur kalt.

Zur besonderen Verwendung

Der Betriebsleiter der Silberkugel habe sein Talent erkannt und ihn „ZbV“, zur besonderen Verwendung, eingesetzt, erzählt er weiter. Und er wiederum hat festgestellt, dass ihm eines ganz besonders liegt: „Die Kommunikation mit de Leut.“ René Greiner hat unter anderem im legendären Rat Rat gearbeitet, bis er sich mit der Wirtin überworfen und daraufhin Geldbeutel, Schürze und Job hingeschmissen hat. Fortan jobbte er in der Nachtgastro: Tanzpalast, Monument, Café Abendblatt . . .

Sein zweites gastronomisches Erweckungserlebnis war Mitte der 80er Jahre, als er während seiner Zivildienstzeit in der offenen Altenpflege zu Alan’s BBQ in Zuffenhausen-Rot stieß. Dort gab es „Chopped Pork“, heute als „Pulled Pork“ bekannt, und die ersten Spare Ribs der Stadt, und die in Stuttgart stationierten US-Amerikaner rannten Alan die Tür ein. Greiners Erkenntnis: Ich mach mich selbstständig. Daran hat auch seine Familiengeschichte Schuld.

Im Frauenhaushalt aufgewachsen

„Ich bin ein Besatzerkind“, sagt der gebürtige Untertürkheimer, der dort in einem Frauenhaushalt aufwuchs – auch wenn streng genommen die Besatzung Deutschlands da schon ein paar Jährchen vorbei war. Sein Vater kam Anfang der 60er Jahre als Soldat nach Stuttgart, wo er seine Mutter, eine Schwäbin, kennenlernte, bevor er weiter in den Korea-Krieg musste. Die Eltern hielten Kontakt, bis der gemeinsame Sohn sechs Jahre alt war, dann riss dieser so lange ab, bis Greiner per Zufall die Telefonnummer fand. Zu den Olympischen Sommerspielen 1984 flog er nach Amerika und lernte seinen Vater persönlich kennen. Bis zu dessen Tod 2003 besuchten sie sich gegenseitig immer wieder. Sein Erbe: der zweite Vorname Milton, die dunklen, lockigen Haare und die Sommerbräune auch jetzt im Winter.

Sein Vater hat ihm auch den Floh ins Ohr gesetzt, Metzger zu lernen und dann ein eigenes Geschäft mit angeschlossenem Restaurant in Alabama zu eröffnen. Wer ihn kennt, weiß, dass das nicht gut gehen konnte. „Die Friseure sind im dritten Stock“, rief ihm der Lehrer der Fleischerfachschule zu, als er zum ersten Unterricht „gestylt und gerichtet“ in die Klasse kam. Er weiß sich zu kleiden, war früher Model und gern gesehener Kunde bei seinem Freund Frank Ilg, der in der Mozartstraße die Modeboutique Inflagranti betrieb.

Anruf bei Schorsch Hackl

Also doch wieder Gastronomie: 1989 eröffnete René Greiner das Ary’s in Vaihingen, 1992 die Filiale in Böblingen. Bei der Auswahl der Mitarbeiter hatte er offenbar kein gutes Händchen. „Wenn ich in Böblingen war, haben sie mich in Stuttgart beschissen und andersrum.“ Die Folge war Mitte der 90er die Insolvenz. Auch seine erste Ehe ging in die Brüche. Der Sohn und die Tochter waren damals sechs und acht, heute sind sie längst erwachsen.

Der gescheiterte Unternehmer arbeitete in einer Frankfurter Eventagentur, organisierte wilde Abfahrten wie das erste Mountainbike-Downhill in Winterberg. Wo aber dafür üben? Die Rodelbahn am Königsee wäre perfekt. Also schaute Greiner im Telefonbuch nach, fand tatsächlich die Nummer und rief den Schorsch Hackl an. „Hallo, hier ist der Greiner aus Stuttgart . . .“ Darüber, dass dieser Coup geklappt hat, freut er sich noch heute.

20 Jahre im Café Fossil

Ende der 90er Jahre ließ es der Greiner aus Stuttgart dann etwas langsamer angehen. 1998 las er die Ausschreibung für das Café am Löwentormuseum und war dort schließlich 20 Jahre lang mit seiner Mutter der Pächter. Außerdem organisierte er große Caterings für Firmenveranstaltungen. Im Sommer 2019 verließ er das Fossil, weil er sich verändern wollte, wie er sagt, aber auch, weil die Gastronomie keine Zeit für Freundschaften lasse. „Du kennst tausend Leute – aber fast alle nur an der Oberfläche.“

Seine langjährige Erfahrung wollte er als Gastronomieberater weitergeben, aber dann kam Corona, und die Aufträge brachen weg. Zurzeit unterstützt er Brigitte Idler vom Lamm in Feuerbach. „Ich wollte die alte klassische schwäbische Küche von Grund auf lernen“, beschreibt er seine Motivation. Um prompt in einem Wortschwall seinen Unmut darüber kundzutun, dass in der Gastronomie meist nur noch die Gewinnmaximierung zähle. Die Folge: schlecht bezahlte Mitarbeiter, keine freien Wochenenden und industriell produzierte Fertigprodukte. „Die Leute wissen doch gar nicht mehr, wie selbst gemachte Spätzle schmecken“, erklärt er den Niedergang der schwäbischen Kultur.

Inzwischen sind zwei Stunden im Café verflogen – und es könnten locker noch zwei mehr werden, doch der Fotograf wartet. Greiners großer Traum? Ein Jahr lang kreuz und quer durch Europa fahren, mit dem Camper oder auch nur mit dem Auto. Und dann eine Hütte in den Bergen bewirtschaften. „Wenn mir die Gäste gefallen, dann gibt’s auch was zu essen. Wenn nicht, hat die Küche Ruhetag.“