Markus Jost und Sohn Timmy vor ihrem Kinderkarussell Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ein Rummel ist mehr als nur eine große Zecherei. Fahrgeschäfte und Buden prägen seine Atmosphäre und seinen Charme. Ein Besuch bei einem Kinderkarussell.

Stuttgart - Alle Kinder sind schon da. Nun gut, vielleicht nicht alle. Aber immerhin Ben und Mia. Die beiden Vierjährigen wollen Karussell fahren. Eigentlich sind sie zu früh dran, das Frühlingsfest öffnet erst in einer halben Stunde. Doch mit Markus Jost (49) muss man nicht lange diskutieren, er holt seine Kasse aus dem Wohnwagen, stellt den Strom an, die Lichter leuchten, das Karussell dreht sich. „Ich mache auf, wenn Kinder fahren wollen“, sagt er, „ich bin schließlich für meine Kunden da.“

Und die Kinderlein kommen. „Ich bin zufrieden mit dem Geschäft“, sagt Jost. Mit seinem 13 Jahre alten Timmys Circus Karussell steht er neben der Gokart-Bahn, gegenüber der Cannstatter Kanne. „Wir sind das letzte Karussell vor der Autobahn“, sagt er und grinst. Soll heißen, auf dem Weg zum Parkplatz ist er für den letzten Ritt zuständig. Bei ihm schließt sich der Kreis, vor der Heimfahrt dürfen die Kinder noch einmal eine Runde fahren. Sie danken es ihm. Nicht nur mit dem Obolus von zwei Euro.

Markus Jost hat ein Büchlein, in dem er Briefe und Zeichnungen sammelt. Kinder haben sie ihm geschickt, so wie man dem Sandmann was Schönes malt, bekommt auch der Mann vom Karussell einen Bildergruß. Das rührt Jost. „Das ist die größte Freude an meinem Beruf“, sagt er. Es lässt die 14-Stunden-Tage ertragen, das Umherziehen, auch die vielen Stunden ohne die Gattin, die mit dem nagelneuen, 100 000 Euro teuren Pfeilwurf-Geschäft reist. Doch mit Sentimentalitäten lässt sich der Kredit bei der Bank nicht zahlen, abbeißen kann man davon auch nicht. „Wenn ich nicht davon leben könnte, würde ich es nicht machen“, sagt Jost, „wir haben keinen Grund zum Klagen.“ Oha, und das aus dem Munde eines Schaustellers. Offenbar hat sich da was verändert. Hat man früher nach zwei verregneten Wochenenden einen Schausteller gefragt, wie es ihm geht, wollte man dem Manne hernach das Kleingeld schenken, damit er überhaupt noch etwas zu essen hat.

Doch das Klagen gehörte nicht nur zum Handwerk. Gerade die Branche von Jost hatte zu leiden. Rund drei Milliarden Euro setzen die etwa 5000 Betriebe bundesweit auf 12 000 deutschen Volksfesten um. Ende der 90er Jahre waren es einmal vier Milliarden Euro. Und das Geld verteilte sich anders. Wie auch in Stuttgart landete es vor allem in den Kassen der Wirte und Imbissbetreiber. Den Schießbuden und den vielen anderen Spielgeschäften wie Pfeil- und Büchsenwerfen blieben die Kunden weg. Auch die Achterbahnen und vor allem die Kinderkarussells fuhren immer öfter leer. Es gibt weniger Kinder, die Konkurrenz durch Freizeitparks und Stadtfeste, der späte Ladenschluss, all das trage zum Problem des Gewerbes bei, so eine Studie des Deutschen Schaustellerbunds.

Und dann gab und gibt es zu viele Schausteller. Dies liege in der Tradition des Gewerbes begründe, so die Studie: „Schausteller wird man durch familiäre Tradition“, allerdings nicht durch Betriebsübernahme, sondern durch Betriebsgründungen. Dies verschärfe die Konkurrenz und werde Betriebsaufgaben nach sich ziehen. In der Tat, die Insolvenzen nahmen zu. Viele kleine Schausteller gaben in den letzten Jahren auf, andere steckten ihre Altersversorgung ins Geschäft, um weitermachen zu können.

Doch nun scheint eine Trendwende in Sicht. Offenbar läutete das Totenglöckchen zu früh. Vor fünf Jahren noch landeten große Achterbahnen in Russland und Amerika, den deutschen Besitzern waren die Kosten für Auf- und Abbau sowie die Energie zu teuer. Das summierte sich schnell auf Zigtausende Euro und schien nicht mehr rentabel. Doch im Moment wird investiert und gebaut. „Die großen Hersteller sind ausgebucht“, sagt Mark Roschmann, Vorsitzender des Schaustellerverbands Südwest und Chef eines Betriebs mit 20 Geschäften. „Wenn Sie jetzt ein Fahrgeschäft bestellen“, sagt er, „müssen Sie zwei Jahre warten.“ Woher der Umschwung kommt? „Das geht in Wellen“, sagt er. „Ich kann mich an Zeiten erinnern, da waren die Zelte selbst samstags halb voll, dann lief’s und jeder wollte Essen und Trinken verkaufen.“

Aber nicht jeder könne einen Imbiss aufmachen, ein Festplatz lebe von der Vielfalt. Offenbar sieht es die Kundschaft genauso. „Manches lässt sich nicht erklären“, sagt Roschmann, „vor zehn Jahren ging keiner mehr an eine Schießbude, jetzt boomt das.“ Bogenschießen sei der neueste Schrei, ein Kollege versuche sich an Paint Ball, das Ballern mit Farbkugeln komme super an. Roschmann selbst hat auch ein Fahrgeschäft für Kinder, bei ihm kann man in Hook oder Lightning McQueen aus der Zeichentrickserie „Cars“ Platz nehmen. „Das funktioniert“, aber natürlich verdiene er damit sein Geld vor allem sonntags und mittwochs an den Familientagen. Wenn es die verregnet, fehlt auch der Umsatz.

Deshalb versucht man das Risiko zu streuen, reist mit verschiedenen Betrieben. So wie Jost und seine Frau. Sein Karussell würde er allerdings nie eintauschen. „Schon mein Opa hatte in Stuttgart ein Kinderkarussell“, sagt er, „das hat man im Blut.“ Deshalb hat die Lehre beim Porsche den jungen Markus auch nur kurz vom Rummel weggelockt; erst half er den Eltern mit der Achterbahn, dann machte er sich mit dem Karussell selbstständig. Kleine Geschäfte sind das im Vergleich zu den Giganten der Rummelplätze. Aber nicht weniger wichtig, findet Jost. „Wir lernen die Kinder an.“ Auf dem Rücken der Holzpferde spürt man erstmals die Freude am Jahrmarkt. Die ein Leben lang anhält, hoffen die Schausteller: Hänschen fährt Karussell und Hans Achterbahn.