Sie sind dem Tod von der Schippe gesprungen. Damals, als ihr Hubschrauber bei Dreharbeiten abstürzte. Seitdem haben Frieder Salm und Wolfgang Schwäble (beide 58) einen anderen Blick auf die Welt.
Stuttgart - Was haben sie nicht schon alles mit unserem Planeten angestellt. Sie haben ihn zerrissen, zerschnitten, zerknüllt, in den Dreck geschmissen, zerstampft. Und danach wieder zusammengesetzt. Die Erde von oben, neu kombiniert. „Shaped Spaces“ nennen sie ihre Bilder, die in Island fotografiert und später im Atelier entstanden sind. Geformte oder gestaltete Orte könnte man das übersetzen.
Das ist wohl nur folgerichtig; haben sie doch nach einer Katastrophe auch ihr Leben neu gestalten müssen. 2008 waren sie gemeinsam auf Lanzarote. Wie so oft hatte sie ein Automobilhersteller beauftragt, einen neuen Wagen für einen Werbefilm bestens in Szene zu setzen. Also folgten sie in einem Hubschrauber einem Porsche, der über die Straßen der kanarischen Vulkaninsel kurvte. Der Dreh war beendet. Es ging zurück. Warum der Pilot so tief flog, ist bis heute nicht klar. Nur wenige Meter über dem Boden jagte er dahin. Und streifte mit dem Heck ein Straßenschild. Er zog noch einmal hoch, konnte den Hubschrauber aber nicht mehr halten, stürzte ab. Der gebürtige Aalener Wolfgang Schwäble saß festgeschnallt in der offenen Tür. „Ich habe keine Ahnung, wie ich rausgekommen bin“, sagt er. Ein Stück des Wracks zertrümmerte ihm das Bein, er hatte einen komplizierten, offenen Bruch. Frieder Salm knallte ein Stück des Sitzes in den Rücken. Seitdem ist er gelähmt, von der Hüfte abwärts, sitzt im Rollstuhl.
Seit dem Unfall sitzt Frieder Salm im Rollstuhl
„Anfangs wollte, konnte ich es nicht glauben“, sagt der Wahlberliner und gebürtige Ludwigsburger. „Ich hatte glücklicherweise meine Familie und meine Freunde, die mich aufgefangen haben.“ Da war ja nicht nur der Kampf mit seinem Körper, ihn so zu trimmen, dass er sein Leben wieder selbstbestimmt führen konnte. Da war ja auch der Kampf, sein Recht zu bekommen. Bis heute haben sie keine Entschädigung bekommen. Der leicht verletzte Pilot wurde zwar von einem Gericht verurteilt, nun müssen sie ihn aber zivil verklagen. Und der vielleicht größte Kampf von allen, sich nicht selbst zu bedauern und wieder einen Sinn im Leben zu finden. Salm hat Filme für alle möglichen Sender gedreht, für „Geo“, den „Spiegel“ und die „New York Times“ fotografiert, „ich bin durch den Dschungel gerannt, Berge hochgeklettert, durch die Kanalisation gerobbt, damit war natürlich Schluss!“ Schließlich sagte er sich: „Tausend Sachen kann ich nicht mehr machen, dafür Abertausend andere.“ Und zwar solche, die „ich aus eigenem Antrieb heraus mache“.
Sie nennen sich ziemlich beste Freunde
Wolfgang Schwäble hatte seine eigene Produktionsfirma, arbeitete etwa für die Bavaria. Seine Firma verkaufte er. Mit Salm beschloss er, wir fahren noch mal dorthin, wo wir Werbefilme gedreht haben. „Das waren die schönsten Landschaften“, sagt Schwäble, „aber wir waren immer im Stress dort.“ Die Natur, das war nur Kulisse für die Werbung. Nun wollten sie sich Zeit nehmen. Sie kennen sich, seit sie 1984 gemeinsam ein Praktikum bei Schawa TV in Stuttgart gemacht haben.
Selbstironisch nennen sie sich „ziemlich beste Freunde“, nach der auf einer wahren Geschichte basierenden französischen Filmkomödie, bei der ein Pfleger einem gelähmten Millionär neuen Lebensmut gibt. Als ziemlich beste Freunde also trauten sie sich wieder in einen Hubschrauber, „um das Trauma zu bekämpfen“. Für ihre Bilder nutzen sie aber lieber Drohnen, an denen sie eine Kamera mit 35-Millimeter-Objektive befestigen. In Patagonien filmten und fotografierten sie so Wale. Auf einem Speedboot fuhren sie hinaus, Salm „so festgezurrt, dass ich nicht rausfallen konnte“. Sahen sie den Blas, die Fontäne der Wale, schickten sie die Drohne hinterher. Die Aufnahmen waren so beeindruckend, dass die BBC sie für ihre Doku „Blue Planet“ kaufte und verwendete. Sie selbst hatten anderes im Sinn.
Sie zerknüllen ihre Fotos
Zuhause in ihrer „Hexenküche“ experimentierten sie mit den Filmen, mixten eine Emulsion, schmierten und salbten, erhitzten und kühlten, steckten das Ergebnis schließlich in einen Dunkelsack aus Vinyl. Das Ergebnis: Unikate in Schwarz-Weiß, die die Wale in einem Meer aus Licht und Schatten schwimmen lassen.
Für eine Reise nach Island hatten sie sich etwas anderes ausgedacht. Mit der Fähre waren sie von Dänemark übergesetzt, ihren VW Bus hatten sie dabei. Mit dem Auto fuhren sie einmal um die Insel herum, spielten „Landvermesser“, wie Schwäble sagt. Sie ließen ihre Drohne in 100 Meter Höhe jeweils einen Quadratkilometer abfliegen, Reihe für Reihe. Salm: „Das war der spießige Teil: Da musste man genau das Raster einhalten.“ Im Atelier folgte der nicht so spießige Teil. Sie setzten die Aufnahmen zusammen, sahen so die Welt von oben. „Dann haben wir herumprobiert“, sagt Schwäble. Sie schnitten und rissen. Bis sie merkten: Das Knüllen hat den besten Effekt. Die Fotos wölbten sich zu topografischen Landschaftsmodellen, hatten Höhen und Tiefen. Nicht der Natur entsprechend, dem Zufall und dem Willen und der Laune von Salm und Schwäble folgend. Sie haben sich eine neue Welt erschaffen. Und das nicht nur auf ihren Fotos.