Stephan Kimmig inszeniert im Opernhaus das 101 Jahre alte Musikdrama, das erstaunlicherweise noch nie in Stuttgart aufgeführt wurde. Am Sonntag ist Premiere.
Noch nie klang Natur in der Musik so wunderbar farbig, so glitzernd hell oder schattenhaft dunkel wie in Leos Janáceks Oper von der „Schlauen Füchsin“: eine musikdramatische Tierfabel nach einer Comic-Serie in einer Brünner Tageszeitung, 1924 in der mährischen Metropole uraufgeführt, längst ins erweiterte Repertoire eingegangen – aber in Stuttgart noch nie gespielt. Warum nicht? „Ist mir ein Rätsel“, sagt der Regisseur Stephan Kimmig, der das am kommenden Sonntag ändern wird und von der „Lebendigkeit“ der Klang- und Motivtexturen schwärmt, die „sich überlagern und durchdringen, statt bloß aufeinander zu folgen“.
Überhaupt überlagert und durchdringt sich in dem Stück allerlei: naturhafter Lebenszyklus und individuelle Vergänglichkeit, erotische Frustration und ewige Sehnsucht, Menschliches und Tierisches. Just diese Spaltung von Mensch und Natur hebe seine Inszenierung zuguterletzt in einer Liebeserklärung an das Leben und die Einheit alles Lebendigen auf, erklärt Kimmig: für ihn eine utopische „Verheißung“, die vorausklinge in Janáceks schwelgenden, schwellenden Naturklängen, dem Sound einer Erotik, die über bloße sexuelle Verrichtung hinausgeht. „Das Wesentliche wird nicht in den Dialogen ausgesprochen, sondern geschieht wortlos in der Musik“, sagt Kimmig.
Aufstand der Legehennen
Sagen, was man nicht sagen kann – oder darf: Das steckt laut dem Regisseur auch hinter der Kostümierung des Stücks als Tierfabel. „Die Füchsin greift das patriarchale kapitalistische System so frontal an, dass man es einer menschlichen Hauptfigur vor 101 Jahren niemals durchgehen lassen hätte.“ Immerhin sprengt Janáceks Libretto jede niedliche Fabelhaftigkeit, wenn die Titelheldin als „Ideal der modernen Frau“ gerühmt wird – und als Klassenkämpferin agitiert gegen den eitlen Gockel, den Chef einer Legehennenbatterie. „Ein Ausbeuter, der so tut, als erweise er seinen Arbeiterinnen nur Wohltaten“, sagt Kimmig. Um Wohnraum für ihren künftigen Nachwuchs zu schaffen, vertreibt die Füchsin den Dachs aus seinem Bau – „einen Immobilienspekulanten“, so der Regisseur. „Die Natur ist nicht idyllisch. Sie kommt uns nur so vor, wenn wir uns an ihr erbauen wollen.“ Die Natur ist so grausam und brutal wie wir selbst. Und die Sozialrevolutionärin ist die Revolution, die wortwörtlich ihre Kinder frisst: Kaum hat sie sie befreit, macht die Füchsin den Hennen den Garaus.
Auch ihre eigene Emanzipationsgeschichte schillert im Zwiespalt, denn sie ist zugleich Projektionsfläche für Männerphantasien. Doch genau diese „Projektion von Weiblichkeit“ auf die Füchsin als eine Art Wappentier menschlich-männlichen Begehrens werde „in der Inszenierung durchbrochen“, verspricht der Regisseur. Janáceks Menschen- als reine Männerwelt will er deshalb nicht stehen lassen. Neben den drei Hauptrollen-Herren „wird die Förstergattin groß gemacht“. Sie bleibt keine Episodenfigur, sondern „kämpft um ihre Beziehung, die eben kein deppertes Match ist wie sonst so viele Beziehungen.“ Anders als die beiden anderen Mannen – der Pfarrer, der einer Jugendsünde nachtrauert und seither alles Sinnliche dämonisiert, der Lehrer, dessen Begehren im Alkoholdelirium ertrinkt – geht ihr Gemahl, der Förster, auf Tuchfühlung mit einer Sehnsucht, für die sinnbildlich die Natur steht. „Er sucht den hautnahen Kontakt mit dem Lebendigen“, sagt Kimmig, er gehe heraus aus der Entfremdung, öffne damit Möglichkeiten auch fürs Zwischenmenschliche.
Protest gegen den Tod
Während der Tod der Füchsin durch den Schuss eines Wilderers alle Möglichkeiten verschließt. Für Kimmig ein Skandal: „Ich kann mit dem Tod nichts anfangen.“ Seine Inszenierung versteht er als Protest gegen den Tod, ebenso das Bühnenbild von Katja Haß, eine kaleidoskopartige Röhre, die am Ende sinnigerweise zum Lichttunnel wird.
Die Premiere beginnt am kommenden Sonntag, 9. November, um 18 Uhr im Stuttgarter Opernhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 14., 21., 23. und 26. November sowie am 10. Dezember.