Die kantige Stahlplastik schmückt seit einigen Wochen den Kulturpark im Stuttgarter Osten. Foto:  

Auf Spurensuche: In unserer Serie „Stuttgarter Entdeckungen“ wollen wir mit Hilfe unserer Leser Geschichten aufspüren, die in den vielen Winkeln der Stadt verborgen sind. Diesmal: die scharfe Skulptur im Kulturpark.

Stuttgart - Sie sieht spitze aus. Oder sagen wir eher: spitz. Und scharf. Und kantig. Eine Skulptur schmückt seit kurzem den Kulturpark Berg im Stuttgarter Osten. Ein Kunstwerk, das allerdings erst in zweiter Linie dort gelandet ist, weil eine solche Plastik eben auf ein Gelände gehört, das sich Kulturpark nennt. Sondern weil es am vorherigen Standort eher fehl am Platz war.

Tatjana Strohmaier, CDU-Mitglied und seit Juli 2014 Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Ost, lehnt sich an jenem sonnigen, aber kühlen Spätvormittag ans kalte, stählerne Objekt. Obwohl die Juristin und vormalige Mitarbeiterin im Landesministerium für Verkehr und Infrastruktur also erst etwa 17 Monate in dieser Funktion tätig ist, hat sie mit der Plastik schon mehrfach zu tun gehabt. Denn immer wieder wurde im Bezirksbeirat diskutiert, von wo dieses Werk verschwinden muss und wo es künftig gefahrlos begutachtet werden kann.

Ihre ursprüngliche Heimat hatte die von Erich Hauser geschaffene „Skulptur 64“ mitten auf dem Pausenhof der Raichberg-Realschule in der Schönbühlstraße 90. Der Standort erwies sich indes als ungeeignet. Grund war die Verletzungsgefahr für spielende, auf der Plastik herumkletternde Kinder. Vor knapp drei Jahren ließ die Schulleitung deshalb Absperrgitter aufstellen.

Kunst anfassen und fühlen

Nach einigen angedachten und wieder verworfenen Standorten wurde die „Skulptur 64“ tatsächlich vor wenigen Wochen in den Kulturpark umgesiedelt. „Es ist gut, dass wir so einen sinnvollen Platz gefunden haben und das Kunstwerk der Öffentlichkeit zugänglich machen können“, sagt Strohmaier. Zudem hat es nun auch mehr Spielfläche auf dem Pausenhof der Realschule. Ohnehin komme Hausers Werk im Park deutlich besser zur Geltung. „Uns war es wichtig, die Skulptur hier im Ort zu behalten; man kann sie anfassen und fühlen und Kunst erleben, was auch Hausers Anspruch gerecht wird.“ Spielende Kinder, die sich an den Stahlkanten schneiden könnten, gibt es hier kaum, dafür sind immer Spaziergänger beim Gassigehen zu beobachten. Möglicherweise entsteht gar ein richtiger Skulpturenpark, deutet Strohmaier Überlegungen an. Die 32-Jährige ist ansonsten begeistert von diesem Areal, das in den Sommermonaten durch den Biergarten des Restaurants eine nicht nur abendliche Belebung erfährt.

Einst diente das Ensemble allerdings ganz anderen Zwecken. Es war ein Garnisonslazarett, das von 1901 bis 1904 an der Teckstraße errichtet wurde – auf der anderen Straßenseite befand sich bereits seit 1895 die Bergkaserne. Die Backsteingebäude sind malerisch in eine drei Hektar große Grünanlage eingebettet. 184 Betten standen einst zur Verfügung; das Krankenhaus entsprach dem damals modernsten medizinischen Standard. „Zwei langgestreckte Hauptflügel, umgeben von kleineren Pavillonbauten für Patienten mit ansteckenden Krankheiten, bilden den Kern der weitläufigen Anlage“, heißt es im Buch „Stuttgart – Ein Architekturführer“.

Merz-Akademie prägt das Areal

Von 1987 bis 1990 wurde das einstige Lazarett, in dem vorübergehend Abteilungen des Süddeutschen Rundfunks und der Kriminalpolizei untergebracht waren, zum neuen Kulturpark Berg umgebaut, wesentlich geprägt von der Merz-Akademie mit ihren diversen Abteilungen. Eine weitere Aufwertung erfuhr der Kulturpark im Juni 2015 durch den Einzug des Hauses des Dokumentarfilms (HDF), das zuvor in einer Villa in der Mörikestraße unterhalb der Karlshöhe untergebracht war. „Durch die Nähe zur Merz-Akademie und zum Südwestrundfunk, aber auch zu den jungen Film- und Medienfirmen, die den Stuttgarter Osten bereichern, entsteht durch unser Haus nun ein kulturelles Zentrum voller kreativer Energie“, erklärte HDF-Geschäftsführerin Irene Klünder bei der Eröffnung. „Ich bin sehr glücklich, hier kann etwas Tolles entstehen.“

Ähnlich begeistert ist auch Tatjana Strohmaier. „Das ist ein tolles Ambiente hier“, sagt sie und hofft auf Synergieeffekte, wenn die nur wenige Hundert Meter entfernt gelegene Villa Berg wieder hergerichtet ist. Dass seit wenigen Wochen nun wieder die Stadt die Zügel in der Hand hält, stimmt sie „überglücklich“. Ihre Idealvorstellung wäre „eine Bürger-Villa“ mit Café und Saal, die von allen Interessenten genutzt werden könnte. Die Villa Berg in Kombination mit dem Kulturpark, das wäre „ähnlich wie das Blühende Barock in Ludwigsburg ein Anziehungspunkt von überregionaler Bedeutung und würde an Wochenenden ein ideales Ausflugsziel darstellen“.

26 der in unserer Zeitung veröffentlichten Beschreibungen sind als Buch erschienen: „Stuttgarter Entdeckungen“, 160 Seiten, 100 Fotos und Karten, Silberburg-Verlag, Tübingen und Karlsruhe. Hrsg.: Stuttgarter Nachrichten; 14,90 Euro.

 

Hintergrund:

An den Eingängen zum Kulturpark Berg sind auf Tafeln alle dortigen Einrichtungen aufgelistet – Architekturbüros, Werbeagenturen, das Ristorante Da Capo oder das Atelier des Malers Ben Willikens.

Die Merz-Akademie, die Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, samt Studentenwohnungen im Dachgeschoss, prägt das Bild des Kulturparks.

Haus des Dokumentarfilms: Im Frühsommer 2015 ist diese Einrichtung vom Stuttgarter Süden hierher in die Teckstraße 62 gezogen. Zum Haus gehört eine in Europa einmalige Dokumentarfilm-Sammlung mit mehr als 8000 Werken, außerdem die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg mit ebenfalls mehr als 8000 historischen Filmdokumenten zu Themen wie Familienalltag, Urlaubreisen, Städteporträts, Filmtagebücher deutscher Soldaten oder Image- und Werbefilme.

Start-up-Campus: Ziel der ebenfalls in der Teckstraße 62 beheimateten Einrichtung ist es nach eigenen Angaben, „Impulsgeber für innovative und kreative Arbeitskultur zu sein“.

Erich Hauser: Der Künstler, dessen vor 52 Jahren entstandene „Skulptur 64“ jetzt in den Kulturpark Berg umgesiedelt wurde, ist in Stuttgart mit mehreren Werken vertreten. Dazu gehört die 18,30 Meter hohe Edelstahlplastik „6-87/88“ auf dem Kernerplatz oder die „Röhrenplastik 8/73“ nahe der Rotebühlkaserne. Hauser wurde 1930 in Rietheim-Weilheim geboren und starb 2004 in Rottweil.