Joachim Spohn (links) nimmt für die Bürgerinitiative Rettungsdienst den „Goldenen Euronotruf-Stern“ entgegen, überreicht von Nils Bunjes vom Stuttgarter Europa Zentrum. Foto: Europe direct

Alles begann mit einem furchtbaren Unfall im Februar 1976. Seither hat die Bürgerinitiative Rettungsdienst in Stuttgart, im Land und in Europa viel bewegt. Jetzt gibt es eine Auszeichnung – und den Abschied.

Als Joachim Spohn und seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative Rettungsdienst ihr Engagement beginnen, herrschen in Stuttgart Verhältnisse, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann. Eine einzige Rettungswache gibt es 1976 für die gesamte Landeshauptstadt, insgesamt drei Fahrzeuge. Viel zu wenig, ein Bruchteil der heutigen Ausstattung – aber nicht außergewöhnlich. Denn ein systematisches Rettungswesen wie heutzutage steckt damals noch in den Kinderschuhen.

Zeugen eines schlimmen Unfalls

Davon muss sich Spohn selbst auf bittere Weise überzeugen. Als der junge Musikstudent im Februar 1976 mit einem Freund im Auto unterwegs ist, werden sie bei Plieningen Zeugen eines schlimmen Verkehrsunfalls: Ein Auto rammt ein Moped. Der Autolenker begeht Fahrerflucht, der Mopedfahrer liegt schwer verletzt mitten auf der Straße. Handys gibt es noch nicht – also bleibt Spohns Freund an der Unfallstelle und kümmert sich um das Opfer, er selbst steigt wieder ins Auto und steuert die nächste Telefonzelle an. „Ich habe die Polizei angerufen und gesagt, dass wir dringend einen Notarzt brauchen“, erzählt der heute 67-Jährige. Danach fährt er zum Ort des Unglücks zurück.

Doch es kommen keine Retter. Stattdessen fährt eine Weile darauf ein Streifenwagen vor. Die Polizisten müssen sich erst vergewissern, dass wirklich Hilfe benötigt wird. Irgendwann rückt schließlich ein Krankentransportwagen mit zwei Ehrenamtlichen an. Es gibt keine Erstversorgung, sie nehmen den Verunglückten mit. Was aus ihm geworden ist, hat Spohn nie erfahren. Die beiden Studenten sind entsetzt.

Aus dieser schrecklichen Erfahrung wird ein Engagement, das fast ein halbes Jahrhundert dauern soll. Spohn schreibt Leserbriefe an Zeitungen. Es melden sich viele weitere Betroffene. Und schließlich gründen sie zusammen Ende 1976 die Bürgerinitiative Rettungsdienst. Sie sammeln Geld für Rettungswagen, gehen Politiker an, berufen Diskussionsrunden ein, machen Vorschläge, schreiben Briefe in vierstelliger Zahl, werden zu Experten, die oft genug den Verantwortlichen ein Stachel im Fleisch sind.

Der Fokus wandert von Stuttgart aufs Land

„Die ersten 30 Jahre haben wir uns vorwiegend um Stuttgart gekümmert“, erzählt Spohn. Danach richtet sich der Blick verstärkt aufs Land Baden-Württemberg mit seinen Strukturen. Und sogar in Europa hinterlässt die Initiative Fußspuren.

Denn der gute Ruf der Ehrenamtlichen spricht sich herum. Die Gruppe ist wesentlich mitverantwortlich dafür, dass die Notrufnummer 112 inzwischen europaweit gilt und beworben wird. Mehrere Abgeordnete des Europäischen Parlaments hatten die Bürgerinitiative 2007 gebeten, bei den Straßburger Parlamentariern für eine Deklaration zur 112 zu werben. „Wir sind zu fünft tagelang durch die Abgeordnetenbüros marschiert und haben getrommelt“, erinnert sich Spohn.

Bei der folgenden Abstimmung erhält das Vorhaben die höchste Stimmenzahl, die es bis dahin im Europaparlament gegeben hat. Es geht sofort zur Umsetzung an die Kommission. Und im selben Jahr erzielen die Ehrenamtlichen auch im Land einen großen Erfolg: Nach einer Beschwerde bei der EU-Kommission, weil Baden-Württemberg die 112 und deren Bewerbung nicht konsequent umsetzt, gerät vieles ins Rollen – die Landesregierung muss umgehend Schritte einleiten. Und am 11.2.2008 wird in Stuttgart unter Beteiligung der Initiative europaweit der erste „Tag der europaweiten Notrufnummer 112“ begangen.

Zwei Preise für die Arbeit

Besonders für die Verdienste um den Euro-Notruf ist die Bürgerinitiative ausgezeichnet worden. Bereits 2007 erhielt sie dafür den 112-Award. Und jetzt hat das Stuttgarter Europa Zentrum nachgelegt – mit dem Goldenen Euronotruf-Stern. „Durch das Engagement der Bürgerinitiative wird an vielen Stellen in der EU ebenfalls von Bürgern für die europaweite Gültigkeit des Notrufs 112 geworben. Ohne das Engagement der Bürgerinitiative wäre der Bekanntheitsgrad des Euronotrufs heute wesentlich geringer“, sagt Nils Bunjes vom Europa Zentrum.

Die Auszeichnung ist zugleich der Schlusspunkt der Bürgerinitiative Rettungsdienst. Denn zum symbolischen 11.2. stellt sie ihre Arbeit offiziell ein – nach 46 Jahren. Der harte Kern der Aktiven ist zuletzt immer kleiner geworden. „Personell können wir so nicht mehr weitermachen“, sagt Spohn mit Bedauern. Denn Aufgaben sähe er weiterhin genug. Und doch können die Ehrenamtlichen mit Stolz auf die vergangenen Jahrzehnte zurückblicken. Denn sie haben in dieser Zeit für die Allgemeinheit viel bewegt.