Omas demonstrieren gegen Rechts Foto: dpa

Weil sich die Geschichte nicht wiederholen soll: Seniorinnen initiieren in Stuttgart einen Ableger des österreichischen Bündnisses, um gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu kämpfen.

Stuttgart - Es sei geschichtsträchtiger Tag für ein Interview, sagt Ulrike Kurtz zur Begrüßung im Lesecafé der Stadtbibliothek. Es ist der 8. Mai. Der Tag, an dem im Jahr 1945 Deutschland von den Nazis befreit worden ist. In dieser Nacht unterschrieb die deutsche Wehrmacht die Kapitulationserklärung. Der Tag der Befreiung ist in vielen europäischen Ländern ein Gedenktag. „Damals hatte sich ein Gedankengut, das von Rassismus, Ausgrenzung und Menschenverachtung durchdrungen war, in den Köpfen vieler festgesetzt. Am Ende hatten wir Hitler in Deutschland“, sagt die 64-Jährige. Es ist der Anlass für ihr neues Engagement. Denn heute sei Rassismus und Ausgrenzung wieder auf dem Vormarsch. „Es liegt in unserer Verantwortung, dies zu erkennen und dagegenzuhalten.“

Ulrike Kurtz gehört zu den Mitgründerinnen des Bündnisses „Omas gegen Rechts“ in Stuttgart. Die Pionierin der antifaschistischen Bewegung ist jedoch die Österreicherin Monika Salzer (70), Großmutter und Pfarrerin im Ruhestand. Sie hat die Initiative im Dezember 2017 gegründet. Damals erkannte sie den wiederaufkommenden Faschismus, der „in Europa wieder umgehe“. Und natürlich wollte sie auch gegen die aktuelle österreichische Regierung um den Kanzler Sebastian Kurz und der rechtspopulistischen FPÖ um Heinz-Christian Strache ein Zeichen setzen.

Eine Österreicherin hat die „Omas gegen Rechts“ initiiert

Gegen diese Tendenzen wollen die Omas ankämpfen. Inzwischen gibt es auch in vielen deutschen Städten aktive Bündnisse, die auf Demos mit ihren „Omas gegen Rechts“-Buttons in Gruppen unterwegs sind. Kurtz hat einen Beitrag darüber im Fernsehen gesehen und fühlte sich angesprochen: „Das ist absolut passend für mich“, dachte sie und hat sich zunächst der österreichischen Gruppe angeschlossen.

In vielen Städten engagieren sich inzwischen Seniorinnen gegen Rechts

Später ist sie auf das Engagement von Anna Ohnweiler aus Nagold aufmerksam geworden. Die 68-jährige, zweifache Großmutter, hat das Bündnis im Südwesten ins Leben gerufen. Inzwischen gab es Gruppierungen in Freiburg, Aalen und Reutlingen. „Nur in Stuttgart war noch ein Fleck auf der Landkarte“, sagt Kurtz, die in der Region lebt. In den dunklen Jahren Deutschlands habe man es versäumt, rechtzeitig etwas zu tun. Das will sich die 64-jährige Ärztin nicht vorwerfen müssen. „Viele haben damals zu lange geschwiegen“, sagt sie.

Auch Hermine Peterhof will nicht länger schweigen. Die 75-Jährige aus Stuttgart sei „Gewerkschafterin mit Leib und Seele“. Seit sie im Ruhestand ist, kümmert sie sich bei Verdi mit noch mehr Herzblut um die Senioren. Bei einer Demo hat sie Anna Ohnweiler kennengelernt. „Mir fiel der Button von ihr auf“, erinnert sie sich, „deshalb habe ich sie sofort angesprochen.“ Dabei entstand die Idee, in Stuttgart den Verein „Omas gegen Rechts“ zu gründen. Nun hoffen die Omas auf weitere Mitstreiterinnen. „Auch Opas sind willkommen“, betonen Kurtz und Peterhof. Um genau zu sein, eigentlich jeder, der gegen Diskriminierung und Ausgrenzung kämpfen wolle. „Wichtig ist, dass wir laut sind“, sagt Peterhof, „und dass wir im Pulk auftreten.“ Kurtz ergänzt: „Mehr Gesicht, mehr Stimme, mehr Präsenz.“

Die Tendenzen nach rechts sind stärker geworden

Die Unzufriedenheit der Menschen mit der Politik, die gefühlte Ungleichheit in der Gesellschaft, die Flüchtlingswelle im Jahr 2015, aber eben auch persönliches Unglück im Leben, das viele auf „die da oben“ oder alles Fremde projizieren, hat die Pegida-Bewegung wachsen lassen. Die Tendenzen nach rechts in unserer Gesellschaft sind den beiden älteren Damen zu stark geworden. Kurtz ist sogar überzeugt, dass rassistische Züge in Deutschland nie weg waren. Sie waren nur verdeckt.

Auf die Straße gegen Rechtspopulisten

Viele haben sich zumindest lange nicht mehr getraut, sich offen zu ihrer rechten Gesinnung zu bekennen. Das hat sich geändert – vor allem auch mit dem Einzug der AfD in viele Parlamente. Man habe nun eine Partei, die total rechts sei und ihre faschistischen Züge offen zeige. „Dagegen muss man auf die Straße gehen“, sagt Peterhof und ergänzt in Manier einer echten Gewerkschaftlerin: „Unsere Errungenschaften sind auf der Straße erkämpft worden.“

Das erste Treffen der Gründungsmitglieder findet am Donnerstag, 16. Mai, am Rotebühlplatz in den Räumen von Pro Familia statt. Dort wollen sie den Verein gründen und gemeinsam überlegen: „Was können wir tun? Wo wollen wir dabei sein? Oder welche Demos passen inhaltlich zu uns? „Unsere Generation trägt die Verantwortung, dass sich Geschichte nicht wiederholt“, sagen sie unisono. Es ist ein Satz, der wie ein Auftrag klingt und möglichst viele andere Omas und Opas zum Mitmachen animieren soll.