Das Stuttgarter Ballett bei der Gala für die Aktion Weihnachten Foto: Stuttgarter Ballett

Das Stuttgarter Ballett überrascht sein Publikum bei der Gala für die Aktion Weihnachten mit einer Uraufführung von Louis Stiens.

Stuttgart - Vor allem für Kinder ist Advent die Zeit kleiner und großer Wunder. Was kommt aus dem Kalender? Was aus dem Stiefel? In schöner Adventstradition birgt auch die Gala, mit der neben der Cranko-Schule auch das Stuttgarter Ballett die Aktion Weihnachten unserer Zeitung unterstützt, immer wieder Überraschungen. Vor allem die jungen Choreografen, die durch die langjährige Arbeit der Noverre-Gesellschaft nachhaltig gefördert werden, fühlen sich von dem vorweihnachtlichen Termin angesprochen. So kam das Publikum immer wieder in den Genuss mancher Uraufführung; international gefragte Künstler wie Demis Volpi und Marco Goecke beschenkten die Gala-Gäste mit neuen Tanzstücken.

Nicht anders war das am Sonntag im Opernhaus. Louis Stiens, junger Tänzer der Kompanie, der schon als Cranko-Schüler Erfahrungen als Schrittemacher sammelte, hat sich das Solo „The Boy“ auf den Leib choreografiert. Ein virtuoses Cembalo-Stück von Joseph-Nicolas-Pancrace Royer, live auf der Bühne gespielt, lässt den Tänzer wirken, als habe ihn eine Zeitmaschine falsch abgesetzt. Sich hingeben an die barocke Musik oder brav marschieren, exerzieren?

In Cargohose, mit bloßem Oberkörper und nassem Haar wirkt der Tänzer wie ein moderner Soldat, immer wieder läuft er stramm nach vorn, immer wieder holt ihn die Musik aus allem heraus, lässt ihn entrücken. Wenn sich Louis Stiens am Cembalo wie an einer Ballettstange hält, tief in die Hocke geht und lächelt, dann ahnt man, dass „The Boy“ auch eine Hommage an die Tänzer im Corps ist, die im Hintergrund solistische Höhenflüge ermöglichen, und ein Tanzstück, das den militärisch-harten Alltag im Ballettsaal mit einem Augenzwinkern kommentiert.

Solistische Höhenflüge waren an diesem Gala-Sonntag viele zu erleben – und die Tänzer von einer jungen Seite. Angelina Zuccarini und Nicholas Jones zum Beispiel. „In for the Thrill“ heißt der Wettkampf, den sich die beiden liefern. Wie ein Streetdance-Battle hat Alexander McGowan diese Begegnung gestaltet und mischt Rhythmus und Fußarbeit des irischen Tanzes mit Ballett und Breakdance, so dass mancher an die Akrobatik erinnert wurde, mit der Zuccarini sich in „Krabat“ als Pumphutt einprägte.

Als Ort, der Neues möglich macht, hat sein Gründer John Cranko das Stuttgarter Ballett etabliert, bis heute ist die Kompanie bekannt dafür, dass sie Choreografen fördert.

Ablesbar ist das am Programm dieser Matinee, das neben einer Variation nur Ballett made in Stuttgart präsentiert. Ami Morita hat an diesem Vormittag den klassischen Part übernommen. Die Japanerin tanzte hier schon als Cranko-Schülerin, nun ist sie auf dem Weg zur Solistin und als Esmeralda ein kesses Energiebündel, das mit Tambourin und großer Balancekunst kokettiert.

Mit John Cranko beginnt der Stuttgarter Ballettreigen. Elisa Badenes und Daniel Camargo, international gefragte Solistenstars, nehmen seiner „Hommage à Bolschoi“ alle Schwere, die in Sprüngen und Hebungen stecken könnte. Wie bringt man die starken Seiten eines Tänzers zum Glänzen? Auch Özkan Ayik weiß es und zeigt seinen jungen Kollegen Pablo von Sternenfels, der leichtfüßig und mit großer tänzerischer Reife in menschliche Tiefen vordringt. Davonlaufen vor den Dämonen, die einen jagen? Kämpfen gegen die Kräfte, die an einem zerren? „Two or Three Things“ ist ein wunderbares Solo über die Aufs und Abs im Leben.

Neu für das Stuttgarter Publikum ist auch „Bite“ von Katarzyna Kozielska, ein Pas de deux mit Biss. Agnes Su und Constantine Allen tanzen im nebeligen Zwielicht; Streicherklänge attackieren und scheinen Körper in Geometrien zu zwingen. Virtuose Paarleistung ist zu bewundern, effektvoll ausgeleuchtet und ebenso interpretiert. Volles Licht gönnt dafür Douglas Lee den beiden Tänzern in seiner „Fanfare LX“: Anna Osadcenko und Alexander Jones verwickeln sich in weichen, mit prägnanten Kopfdrehungen eingeleiteten Linien wie Schleifen auf einem wunderschönen Geschenk.