Ein begehrtes Fotomotiv: Das Neue Schloss in den Ukraine-Farben Foto: /Bogen

Ein Schatten liegt über der Stadt – doch Schlösser erstrahlen solidarisch. Schausteller haben in der City ihre Faschingsbuden eröffnet – neben ihnen rufen Hunderte „Stoppt Putin“. Stuttgart zwischen Karneval und Antikriegsdemos – ein abendlicher Rundgang.

Stuttgart - Seit russische Soldaten auf Befehl eines Despoten in ihr Nachbarland einmarschiert sind, ist alles andere unwichtig geworden. Maria Prinzessin von Sachsen-Altenburg, in der Ukraine geborene Botschafterin des Bundesverbandes Kinderhospiz, hat mit ihrem Verein Kinderglückswerk auch in der Pandemie Wünsche benachteiligter Kinder erfüllt. Vor wenigen Tagen war sie mit Autorin Friederike von Rheden in der Cannstatter Altenburgschule. Dort sagte die gebürtige Osteuropäerin, Lesen könne die „Tür in eine andere Welt“ öffnen. Nun ist sie nur noch sprachlos und weint. Nach beängstigenden Telefonaten mit Verwandten in der Ukraine schmerzt alles noch viel mehr. Die „andere Welt“ hat sie sich ganz anders erträumt.

„Seid ihr für den Weihnachtsmarkt nicht bissle spät dran?“

„Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht.“ Dieser Satz von Außenministerin Annalena Baerbock hallt auf dem Schlossplatz nach, am Abend eines furchtbar traurigen Tages. Beim Kunstmuseum wird Zuckerwatte verkauft, ein Kinderkarussell dreht sich. „Was ist hier los?“, fragt eine Frau und schaut, als wundere sie sich gar nicht mehr, wenn die Welt noch sonderbarer wird. Ihre nächste Frage richtet sie an die Verkäuferin einer Bude: „Seid ihr für den Weihnachtsmarkt nicht bissle spät dran?“ Die Frau vor den Lebkuchenherzen lächelt und erklärt: „Wir sind wegen des Faschings da.“ Der närrische Umzug falle aus, aber die Stadt habe den Schaustellern erlaubt, trotzdem ihre Waren in der City zu verkaufen – erstmals sechs Tage lang, bis zum Faschingsdienstag.

Alles ist anders geworden. Wegen Corona ist die Welt aus den Fugen geraten – jetzt kommt ein Krieg im Osten Europas dazu, der Wut und Traurigkeit hervorruft. „Stop Putin, stop War!“, steht auf Plakaten, die besorgte Menschen auf den Schlossplatz mitgebracht haben. Es gibt gleich zwei Demos gegen den Krieg an diesem Abend. Ein Schatten liegt über der Stadt. Man spürt, wie dieser alle niederdrückt. Die Stimmung ist so beklemmend, weil alle Machtlosigkeit spüren.

Von der Macht der Bilder und Gesten

Blau und Gelb – die Nationalfarben der Ukraine sind bei der Kundgebung zu sehen, aber auch das Neue Schloss erstrahlt auf diese Weise. Viele Passanten machen Fotos mit dem Handy davon, wie sie’s hier vom Riesenrad gemacht haben. Es tut gut, wenigstens ein Zeichen der Solidarität zu sehen und dieses in den sozialen Medien teilen zu können. Dort kommt es auf die Macht der Bilder und Gesten an. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) ist bekannt dafür, schnell zu reagieren. Am Rathaus ist zunächst nichts zu sehen. Am Freitagnachmittag lässt OB Frank Nopper (CDU) eine Fahne des Bürgermeister-Netzwerks „Mayors for Peace“ hissen. Zwei städtische Ukraine-Fahnen leiht der OB dem Land aus, das diese am Neuen Schloss aufhängt, weil es keine eigenen hat.

Auch die Schlösser Solitude und Ludwigsburg erstrahlen in Blau-Gelb

Sebastian Engelmann, der Sprecher von Bayaz, erklärt, wie es mit den Lichtern am Schloss so schnell geklappt hat: „Am Vormittag habe ich bei einer Eventagentur angefragt. Eine Dreiviertelstunde später trafen wir uns im Ehrenhof und wählten die Fläche aus. Die Strahler sind mit Lithium-Ionen-Akkus ausgestattet und von der Firma am Boden angebracht worden.“ Am Freitagabend erstrahlen auch das Schloss Solitude und das Residenzschloss Ludwigsburg in Blau-Gelb. „Damit wollen wir uns mit allen verbinden, die sich Frieden wünschen“, erklärt Michael Hörrmann, Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten.

Muss das bisschen Karneval, das trotz Corona übrig geblieben ist, abgesagt werden? Nimmt der Krieg in der Ukraine den letzten Rest an Feierfreude? Die Schausteller am Königsbau sind froh, in diesen harten Zeiten arbeiten und etwas Geld verdienen zu können. Viel los ist bei ihnen aber nicht.

Während des Golfkriegs fiel der Faschingsumzug aus

Am „Schmotzigen Dunschtig“ treffen sich Narren, etliche kostümiert, im Classic Rock Café. Thomas Klingenberg, der Präsident des Karnevalsvereins Möbelwagen, erinnert daran, wie beim Golfkrieg der Faschingsumzug in Stuttgart abgesagt wurde – jetzt wieder wegen Corona. „Wir feiern bereits auf Sparflamme“, sagt er und versteht, wenn manchen nicht nach Feiern zumute ist.

Anita Rösslein, die Präsidentin des Festkomitees Stuttgarter Karnevalvereine, sagt, der Kriegsbeginn treffe sie persönlich sehr, aber vielleicht erfordert die Situation „gerade jetzt ein paar positive Vibes, bevor das Leben unter Umständen ganz den Bach runtergeht“. Karnevalisten könnten die Welt nicht retten, aber sie „vielleicht ein bisschen bunter, besser und lustiger gestalten“, sagt sie.

Was der Künstler Claus Rudolph aus St. Petersburg berichtet

Der Stuttgarter Fotograf Claus Rudolph feierte am Donnerstagabend, am Tag des Kriegsbeginns, die Eröffnung seiner Ausstellung „A Man’s World“ im Stieglitz-Museum in St. Petersburg – in einer Stadt, in der es am selben Abend Mutige gab, die gegen den Krieg demonstrierten. Offiziell werde Verständnis für Putins Invasion geäußert, berichtet er uns. Man habe den Russen vor der Nato-Osterweiterung eine „unamerikanische Pufferzone“ zugesagt, hörte der Stuttgarter. „Inoffiziell“ aber gibt es viel Kritik am Blutvergießen. Gerade in dieser Zeit sei es wichtig, „Brücken zu bauen“, findet Rudolph. Deshalb werde er mit seiner kompletten Ausstellung im Anschluss nach Samara ins Museum der Künste weiterziehen.