Erinnerungen an provisorische Bauten in Ruinen unweit der Leonhardskirche. Foto: Stadtmessungsamt Stuttgart

Entlang der Hauptstätter Straße sind in den 1950ern Holzbuden gestanden, die als Vereinigte Hüttenwerke in die Stadtgeschichte eingingen. In unserer Luftbild-Serie erinnern wir daran.

Stuttgart - Bei der Wahl zum Wort des Jahrzehnts würde es für die 1950er einen klaren Sieger geben: Autogerecht! Damit man auf vier Rädern schnell durch Stuttgart kommt, sind historisch gewachsene Quartiere zerlegt und auseinandergerissen worden. Der Leonhardsplatz ist ein Beispiel dafür. Von einem Platz, der von Häusern umgrenzt ist, kann bei ihm keine Rede mehr sein. Wie unser historisches Luftbild zeigt, durften schon 1955 Autos zwischen Breuninger und Leonhardskirche fahren – aber nur auf zwei Spuren damals. Und an den Seiten gab’s viele Parkplätze. Dort sieht man sogar mehr Autos als auf den beiden Fahrbahnen. Heute ist eine Stadtautobahn daraus geworden.

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Nach dem Krieg war die Stadt ein Trümmerfeld, eine Ansammlung an Behelfsläden und Behelfswohnungen – und auch die Luden und Altstadtwirte wussten, wie man sich behilft. Ihre provisorischen Bauten, in der Ruinenwüsten unweit der Leonhardskirche schnell und unkompliziert wie bei einer Kirmes hochgezogen, gingen als Vereinigte Hüttenwerke in die Stadtgeschichte ein – der damalige Oberbürgermeister Arnulf Klett hatte diesen Begriff geprägt.

Hütten wurden in den 1970ern abgerissen

Allenthalben drängten die Rathausbeamten auf städtebauliche Ordnung. Nur das Treiben in der Amüsierstraße hielt lange allen Stürmen stand. Wer glaubt, hier habe der Mechanismus der schwäbischen Kehrwoche versagt, dürfte sich täuschen. Eine besondere Reinlichkeit wird den früheren Betreibern der zwar ärmlichen, aber doch fantasiereichen Nachtstationen nachgesagt.

Wo sich heute das Schwabenzentrum als ungeliebter Klotz nüchtern ausbreitet, erblühte bis zum Abriss der Verschläge in den 1970ern neben Strip und Nepp auch die „Subkultur“, wie man sie schon damals nannte. Hier regierten Rotlicht und Rock ’n’ Roll. Kann Stuttgart so verrucht sein? Die Stadt der besungenen Häuslebauer und des Schwabenfleißes hatte ihre andere, vielleicht nicht so stabile Kehrseite. Noch heute erzählt man sich vom armen Zecher, der sich zur späten Stunde an die Außenwand einer rot beleuchteten Pariser Bar lehnte. Dort übermannte ihn die Müdigkeit. Es soll heftig geregnet haben. Die Wand der Baracke sei irgendwann so aufgeweicht gewesen, dass sie plötzlich nachgab – der schlafende Zecher plumpste rücklings in die Bar hinein. So schnell kam man also in die Hüttenwerke mit dem Kopf durch die Wand.

„Die Altstadt darf nicht vor die Hunde gehen“

Die Namen standen für die große Welt. Manhattan oder Casino de Paris hießen die Amüsierlokale, in denen man mit Dollars bezahlen konnte, der Währung der Träume.

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Aus der Luft betrachtet hat sich das Leonhardsviertel zwischen den 1950ern und heute kaum verändert. Das Problem unten am Boden ist, dass zu wenig getan worden ist und Stuttgarts ältestes Stadtquartier heruntergewirtschaftet wurde. Die Parole von Freunden dieses Viertels lautet heute: „Die Altstadt darf nicht vor die Hunde gehen.“