Neyenne Frank-Bely ist im Zirkus groß geworden. Sie kann sich kein anderes Leben vorstellen. Foto: Julia Bosch

Am Festplatz in Stuttgart-Vaihingen gastiert bis zum 23. September der Zirkus Bely. Bisher ist das Publikumsinteresse zurückhaltend – obwohl die Familie jede Saison für ihre vorbildliche Tierhaltung ausgezeichnet wird. Woran liegt das? Wir haben die Zirkusmitglieder getroffen.

Vaihingen - Insgesamt 138 Kilometer von Stuttgart-Vaihingen bis nach Kehl an die Grenze zu Frankreich ist die Zirkusdirektorin Marina Frank-Bely am Dienstagmorgen gefahren. Sie musste dort Heu für ihre Tiere abholen. Wegen der Hitze und anhaltenden Trockenheit kam in diesem Jahr kaum ein Bauer in Deutschland zu einem zweiten Schnitt Heu, was dazu führt, dass das getrocknete Gras in Deutschland derzeit so gut wie ausverkauft und extrem teuer ist. Für die Direktorin des Zirkus Bely ist das ein echtes Problem, schließlich muss sie täglich 80 Tiere versorgen, darunter Kamele, Alpakas, Rinder, Lamas und Pferde. Insgesamt fressen ihre Tiere jeden Tag fünf Rundballen Heu.

„Die Hitze hat uns in dieser Saison einen Strich durch die Rechnung gemacht, nicht nur wegen des Futters für die Tiere, sondern auch wegen der Besucherzahlen“, sagt Marina Frank-Bely. Bei Temperaturen um die 30 Grad würden viele Familien lieber ins Freibad gehen, statt sich ins Zirkuszelt zu setzen. Das haben die 15 Mitglieder des Zirkus Bely auch in den vergangenen Tagen in Vaihingen gemerkt. Das Publikumsinteresse war bisher zurückhaltend.

Haben Familien keine Zeit mehr für Zirkus?

Dafür macht Marina Frank-Bely jedoch nicht nur die Hitze, sondern auch andere Zirkusse verantwortlich, die in den vorigen Monaten auf dem Festplatz an der Krehlstraße Halt gemacht haben: „Wenn vor einem schon mehrere kleine Zirkusse da waren, die kein gutes Programm zeigen, hat man es schwer“, sagt sie.

Generell glaubt Marina Frank-Bely, dass es für Zirkusse heutzutage härter ist als früher: „Die Zeiten haben sich geändert: Zum einen haben die Menschen weniger Kinder, mit denen sie in den Zirkus gehen können, zum anderen haben viele Kinder mittlerweile jeden Nachmittag Musik-, Sport- oder Nachhilfeunterricht. Den Rest ihrer Freizeit verbringen sie im Internet oder vor dem Fernseher. Da bleibt kaum mehr Zeit für einen Zirkusbesuch.“

„Ich kann mir kein anderes Leben vorstellen“

Für viele ist auch die Tierhaltung ein Grund, Zirkusse nicht zu besuchen. Die Familie Bely will sich deshalb von anderen abheben. Sie kettet ihre Tiere nicht an und bietet ihnen einen größeren Auslauf. Zudem macht der Zirkus immer von Oktober bis April Winterpause, einerseits um neue Nummern für die kommende Tournee zu proben, andererseits, damit sich die Tiere erholen können. Für diese gemäß den Leitlinien des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz artgerechte Haltung wird der Zirkus jede Saison ausgezeichnet. Umso schwerer ist für die Zirkusfamilie zu verstehen, warum vor allem in diesem Jahr so wenige Menschen in ihre Vorstellungen kommen.

Dem Zirkus den Rücken zu kehren und etwas ganz anderes zu machen, wäre für die Familie undenkbar: „Ich kann mir kein anderes Leben vorstellen. Du wirst da hineingeboren. Ich habe beispielsweise noch nie in einem richtigen Haus übernachtet“, sagt Marina Frank-Bely. Bei ihren vier Kindern, deren Partnern und ihren Enkelkindern ist es dasselbe: Sie alle sind damit aufgewachsen, in Wohnwagen von Ort zu Ort zu ziehen, alle paar Tage die Schule zu wechseln und in der kalten Jahreszeit ihre Wohnwagen im Winterquartier in Rastatt abzustellen und dort ganz nahe bei den Tieren zu überwintern.

Mitschüler beschimpfen Zirkuskinder als „Zigeuner“

Die Arbeit im Zirkus ist jedoch keineswegs weniger anstrengend als ein klassischer Achtstundentag: Allein der Aufbau des Zirkuszelts, der Wohnwagen und der Tiergehege dauert in jeder neuen Stadt vier Tage, vier Tage, in denen die Familie kein Geld verdient. Jeden Morgen um 5.30 Uhr klingeln die Wecker; dann muss sich die Familie um die Tiere kümmern, Mist wegbringen, Futter heranschaffen, Plakatiergenehmigungen einholen, Plakate aufstellen, Flyer verteilen, proben, die Tiere für die Auftritte schmücken und sich selbst schminken. „Das ist Arbeit ohne Ende“, sagt Marina Frank-Bely. Die Meinung der Gesellschaft zu Zirkusleuten ist da kein Trost: Vor allem in der Schule werden die Zirkuskinder immer wieder von den Mitschülern als „Zigeuner“ beschimpft, erzählt sie. „Früher war man als Zirkusartist noch jemand. Das ist heute nicht mehr so.“

Sobald jedoch um 16 Uhr der Vorhang aufgezogen wird und die Vorführung beginnt, ist all das vergessen. Dann geht es nur noch darum, die Zuschauer zu begeistern. Sie müssten nur kommen.

Der Zirkus Bely gastiert noch bis Sonntag, 23. September, am Festplatz an der Krehlstraße in Vaihingen. Im Programm sind unter anderem Luftnummern, eine Pferdedressur, Bodenakrobatik, ein Showballett, eine Exotenkarawane und eine landwirtschaftliche Bauernnummer. In Europa einzigartig ist der Auftritt mit einem sogenannten Sulky, das normalerweise bei Trabrennen eingesetzt wird. Es gibt täglich um 16 Uhr eine Aufführung, außer montags. Tickets können an der Kasse gekauft oder unter 0172/7 29 20 93 reserviert werden.