Friedenskonzert in der vollbesetzten Stiftskirche. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Mit Kundgebungen, Führungen und einem großen Friedenskonzert ist in Stuttgart an das Kriegsende vor 80 Jahren erinnert worden. Eindrücke vom Tag.

Wie intakt die Stadt doch wirkt an diesem 8. Mai 2025! Trotz ihrer vieler Baustellen. Blickt man durch die Brille der Geschichte zurück auf den 8. Mai 1945, dann bietet sich ein ganz anderes Bild. Ein Bild der Zerstörung: die Innenstadt in Trümmern, die Stiftskirche zerbombt, wie auch das Rathaus und das Alte Schloss.

 

80 Jahre später läuten um Punkt 12 Uhr die Kirchenglocken zum Gedenken – auch die im Krieg abgenommenen Glocken der Stiftskirche, die eingeschmolzen werden sollten. Treffen sich Geschichtsinteressierte vor der Stauffenberg-Gedenkstätte hinter dem ebenfalls längst wieder aufgebauten Alten Schloss. Versammeln sich einige Hundert Menschen auf Einladung eines Bündnisses aus Stolperstein-Initiativen, der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, des Stadtjugendrings, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Gewerkschaften und anderer Organisationen, auf dem Karlsplatz um an die „Befreiung von Faschismus und Krieg“ zu erinnern.

Olschowski ist für ein AfD-Verbotsverfahren

Dort hört man an diesem 8. Mai Kunst- und Wissenschaftsministerin Petra Olschowski in einer flammenden Rede sagen, die „Gegenwartskulisse“ dieses 80. Jahrestags mache lebendiges Erinnern dringender denn je. Es ist klar, wer gemeint ist: die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD. Olschowski spricht sich für ein Verbotsverfahren aus und bekommt dafür Applaus.

Die Zuhörer, viele selbst in der Erinnerungsarbeit aktiv, hören, wie die Grünen-Politikerin warnt, Erinnerungsarbeit erreiche leider „zu viele Menschen nicht“, so engagiert diese in Stuttgart auch betrieben werde. „Wir können es uns nicht leisten, Junge an Hetzer und Leugner zu verlieren“, sagt sie. Immerhin, der Stadtjugendring ist vertreten. Olschowskis Appell richtet sich an alle: „Geschichte wird von Menschen gemacht. Jede und jeder von uns ist gefordert.“

8. Mai-Kundgebung auf dem Karlsplatz Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Im Schatten des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, das den Sieg des Kaiserreichs über Frankreich feiert, tritt an diesem 8. Mai auch der französische Generalkonsul Gaël de Maisonneuve ans Mikrofon. Er hebt die deutsch-französische Freundschaft hervor, die sich nach dem Krieg zwischen den einstigen Feinden entwickelt habe und sich in vielen Städtepartnerschaften zeige. Er erinnert auch an den Europatag, der sich am 9. Mai zum 75. Mal jährt und auf der berühmten Erklärung des französischen Ministerpräsidenten Robert Schuman vom 9. Mai 1950 fußt, einem der Gründungsdokumente Europas.

Ein anderes, nämlich „sozial gerechteres Europa“ wünscht sich Ulrich Schneider, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer. Außerdem solle der 8. Mai endlich Feiertag werden! Dem stimmen viele zu. Auch Musik erklingt 80 Jahre nach Kriegsende auf dem Karlsplatz. Der Chor Musica Lesbiana singt, und die Stuttgarter Guttenberger Brothers spielen Gypsy Jazz. In Kurzbiografien werden Verfolgte des Naziregimes vorgestellt. Die Erinnerung lebt. Zumindest hier.

Der 8. Mai – er ist auch anderswo in der Stadt präsent. Auf die Treppen am Schlossplatz hat jemand mit Kreide „8. Mai 1945 -Ende des Kriegs“ geschrieben, neben das stadtbekannte „Oben bleiben!“ In der „Activity Area“ des Trickfilmfestivals auf dem Schlossplatz zeigt der Verband Region Stuttgart eine Ausstellung „Stimmen für Demokratie und Vielfalt“ mit Zitaten bekannter Nazi-Gegner wie Willi Bleicher, Eugen Bolz oder Fritz Bauer. Dazu Menschen aus der Region, die sich heute für Frieden, Freiheit und Demokratie einsetzen. Darunter Alexander Wehrle, Vorstandsvorsitzender VfB-Stuttgart. Unter seinem Foto steht der Satz: „In einer Zeit, in der politische und gesellschaftliche Kräfte versuchen, Akzeptanz und Gleichberechtigung zurückzudrängen, ist es wichtiger denn je, laut und sichtbar zu bleiben.“

Laut und sichtbar sind an diesem Tag auch die Antifaschisten, die Kränze an dem 1970 eingeweihten Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus niederlegen und bei der Gelegenheit Widerstand gegen den Kurswechsel in der Migrationspolitik ankündigen, während das Haus der Geschichte Themenführungen zum 8. Mai anbietet, und in der Domkirche St. Eberhard der katholische und der evangelische Stadtdekan, Christian Hermes und Søren Schwesig, gemeinsam an das Kriegsende erinnern.

Das Friedenskonzert – ein bewegendes Ereignis

Besonders eindringlich – und laut – zeigt sich dieser 8. Mai am Abend in der vollbesetzten Stiftskirche. Kammerorchester, Kantorei, Philharmoniker, dazu zwei Chöre aus Straßburg und Warschau führen unter der Leitung des amerikanisch-israelischen Dirigenten Steven Sloane die Symphonie Nr. 2 von Gustav Mahler auf, genannt die Auferstehungssinfonie. Mahlers Musik, so beschreibt es Christian Lorenz, der Intendant der Philharmoniker, „führt aus dem Dunkel von Tod und Zerstörung hin zu einer strahlenden Vision von Trost, Erneuerung und menschlicher Würde“. Man wolle damit „ein musikalisches Zeichen der Erinnerung und der Hoffnung“ setzen.

„Miteinander und nicht gegeneinander leben“ – OB Frank Nopper in der Stiftskirche. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Stuttgarts OB Frank Nopper greift den Gedanken auf: „Das Kriegsende machte die Auferstehung Deutschlands möglich“, sagt er. Er spricht von „mentalen Aufräumarbeiten“ nach dem Krieg und meint Stuttgarter Schuldbekenntnis der Protestanten und die Charta der Heimatvertriebenen. Kunststaatssekretär Arne Braun sieht im 80. Jahrestag den Auftrag, „gemeinsam für Frieden, Freiheit und Demokratie einzutreten“ und beschwört, wie Ernst-Wilhelm Gohl, der evangelische Landesbischof, die verbindende Kraft der Musik. Gohl nennt die Aufführung ein „Friedenskonzert ehemaliger Feinde“. Es sei wichtig, europäisch zu denken und nicht nationalistisch.

Die Aufführung selbst wird zu einem Ereignis, das in positivem Sinne durch Mark und Bein geht. Die vereinigten Orchester und Chöre verleihen Mahlers Sinfonie eine Kraft, von der man sich wünscht, sie möge friedensstiftend sein. An diesem Freitag, dem Europatag, gibt es eine Wiederholung. Man könnte auch sagen: eine Bekräftigung.