Die digitale Podiumsdiskussion im Stadtpalais wirft einen Blick in eine Zukunft nach Corona. Vertreter aus Kultur, Wirtschaft, Medizin und Wissenschaft diskutieren darüber, „wie Corona unser Leben verändert“.
Stuttgart - Das Leben während der Pandemie – gezwungener Maßen kennen wir es alle. Auch die Fotoausstellung „Stuttgart trotz(t) Corona“ im Garten des Stadtpalais hat es gezeigt. Hunderte Bilder haben Leserinnen und Leser der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten dem Museum zur Verfügung gestellt. Sie belegen, wie eine Stadt trotz Pandemie funktionieren kann. Es sind Fotos, die Blicke gewähren auf die vielen Ideen Einzelner und die Kreativität, mit der sie dem Virus trotzen.
Doch was wird von all dem bleiben? Wie wird die Pandemie das Leben verändert haben, wenn eines Tages der Virus „besiegt“ ist? Wird es tatsächlich „nie wieder, wie es war“? Fragen, mit denen am Freitagabend Stadtpalais-Direktor Torben Giese eine digitale Podiumsdiskussion einleitet, in der Vertreter aus Kultur, Wirtschaft, Medizin und Wissenschaft darüber diskutieren, „wie Corona unser Leben verändert“. Oder wird es uns irgendwann im Rückblick nur „wie ein Sturm im Wasserglas“ erscheinen“?
Intensivmedizinerin berichtet von Lage
Wohl kaum, wenn Berichte, wie die der Ärztin Daniela Neumaier, Intensivmedizinerin im Marienhospital, in Erinnerung bleiben. Gleich zu Anfang der Gesprächsrunde, die die StZ/StN-Volontärin Leonie Rothacker gemeinsam mit Torben Giese moderiert, legt die Ärztin das Fundament, auf dem in Zukunft jede Diskussion über die Folgen der Pandemie wird aufbauen müssen: dem Leid von unzähligen Menschen. „Wir waren auch in dieser Woche wieder so weit, dass alle unsere Corona-Intensivbetten belegt waren“, erzählt die Medizinerin. „Jeder Tag auf der Station begann mit einem akuten Notfall.“
Bilder, die im Kopf bleiben. Doch wie werden sie sich langfristig in ganzen anderen Bereichen unserer Gesellschaft auswirken? Zum Beispiel in der Immobilienwirtschaft? Michael Bräutigam, Geschäftsführer beim Immobilienberatungsunternehmen Colliers International, rechnet aufgrund der Corona-Krise bundesweit mit 20 Prozent Hotelschließungen, im Einzelhandelsgewerbe mit bis zu 10 000 Ladenschließungen. Und auch die Frage, wie viele Büroimmobilien in Zukunft überhaupt noch gebraucht werden, wenn sich das eingeübte Homeoffice etablieren sollte, treibe die Branche um: „Da gibt es viele Fragezeichen“, sagt Bräutigam. Mancher Experte rechne mit bis 50 Prozent weniger Bedarf an Büroflächen. Aber es gebe eben auch viele Firmenchefs, die beklagten, dass die Unternehmenskultur und die Arbeitseffizienz im Homeoffice auf der Strecke bleibe. „Diese Leute sehnen sich danach, dass die Mitarbeiter wieder zurück ins Büro kommen“, sagt Bräutigam. Es ist nur eines von vielen Schlaglichtern auf die Post-Corona-Zeit.
#allesdichtmachen auch hier Thema
Ein anderes wirft der Konzertveranstalter Matthias Mettmann, Geschäftsführer der Stuttgarter Veranstaltungs-Location „Im Wizemann“. „Wird es je wieder dazu kommen, dass tausende Menschen dichtgedrängt mit nacktem Oberkörper im Konzert stehen?“, fragt Stadtpalais-Chef Giese. Oder werden auch in Zukunft die Ängste vor Ansteckung zu groß sein? „Mit Zynismus kommen wir jedenfalls nicht weiter“, betont Mettmann in Hinblick auf die aktuell hochumstrittene Schauspieler-Initiative #allesdichtmachen. Doch klar sei auch: Sollte in der Veranstaltungsbranche die Rückkehr zur Normalität nicht gelingen, „brauchen wir ganz neue Konzepte, und zwar für den ganzen Kulturbetrieb“. Doch der Konzert-Veranstalter ist Optimist. Er hat die Hoffnung, dass die Branche auch mit technischen Mitteln dem Problem Herr wird.
Doch lassen sich Risiken tatsächlich vor allem mit besserer Technik minimieren? Die Risiko-Soziologin Cordula Kopp von der Universität Stuttgart sät Zweifel: „Unser blinder Glaube an eine technische Lösbarkeit funktioniert ja jetzt schon nicht“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Soziologin ist sich sicher: „Wovon wir tatsächlich profitieren, ist die menschliche Kreativität und Fähigkeit jedes Einzelnen, Lösungen zu finden.“ Hier müssten wir viel mehr Experimente wagen. Ein Schlusswort, das, gewollt oder nicht, den Bogen wunderbar zurückschlägt auf die Fotoausstellung „Stuttgart trotz(t) Corona“, die noch bis 2. Mai zu sehen ist.