Im Gespräch, das Thorsten Lannert (Richy Müller) mit dem verurteilten Busso von Mayer (Thomas Thieme) führt, wird deutlich, dass der Architekt von Politikern nicht gerade viel hält Foto: SWR

Eine Stadt am Rande des Nervenzusammenbruchs? Ein „zubetoniertes Drecksloch“? Die Landeshauptstadt ist im neuen Stuttgart-„Tatort“ eine mit Getöse bespielte Bühne. In „Der Inder“ versucht der Südwestrundfunk einen Tanz mit dem Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21.

Stuttgart - Raunen gehört dazu zum Fernsehen. Bloßes Raunen aber ist noch keine Spannung. Und es wird viel geraunt in diesem „Tatort“. Von einer Stadt, die sich verkauft hat (oder war es doch nur ein Teilbereich einer Baufläche?), von einem „neuen Bahnhof“, der international operierenden Immobilienfonds Tür und Tor öffnet, von einer Landespolitik, die zu allem bereit ist, um Macht zu spüren, und – unter welcher parteipolitischen Flagge auch immer – nicht weniger weit geht, um Macht zu behalten. Von einer Stadt zuletzt, die einen neuen Anfang wollte und sich von den gewählten Helden nicht weniger verraten fühlt als von jenen, die hier 90 Minuten als allseits erklärte Schurken durch die nur selten relevanten Szenen tapsen.

Oh ja, der Zeitbezug wird oft beschworen. Immer wieder dieser Begriff, diese zur Unmarke gewordene Überschrift: „Stuttgart 21“. Abziehbilder der zentralen Figuren im Spiel um Geld und Macht aber lassen den Plot um den (Auftrags-)Mord an einem früheren Baustaatssekretär viel zu früh hohl erscheinen.

Dillinger heißt der Mann, gibt den klassischen männlichen Unsympath – und spielt doch eigentlich ebenso wenig eine Rolle wie ein Ex-Ministerpräsident, den die Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) im Trainingsanzug antreffen. Eine besonders subversive Form des Widerstands gegen das überdesignte Zuhause? Niki Stein (Buch und Regie) lässt es offen.

So stolpert dieser „Tatort“ auch eher vorwärts. Das Tempo wie auch die Schärfe der Immobilienthemen einstiger Schimanski-Fälle ist diesen 90 Minuten weitgehend fremd. Da helfen auch Zeitsprünge wenig, von denen Stein reichlich und in beiden Richtungen Gebrauch macht. Eine Allegorie etwa auf die Hoffnung der Politik, die Uhren anders, und auf die Sehnsüchte der Investoren, die Uhren schlicht schneller laufen zu lassen?

Das wäre doch gerade Niki Stein zu wenig, und so darf man sich diesem vorgeblich so politischen und vorab gern als „kritisch“ etikettierten „Tatort“ wohl auch anders nähern. Als ein Film, der viel Begleitmusik braucht, um ein Duell vorzuführen. Richy Müller, als Lannert mehr und mehr die Ruhe selbst, gibt den Ermittler hier als staunenden Zaungast der Hysterie – und als Gegenspieler eines wegen Konkursbetrugs verurteilten Architekten und Ex-Bauunternehmers. Thomas Thieme gibt diesem buchstäblich Gewicht. Müller gegen Thieme – das hat was. Beide reduzieren ihr Spiel und gewinnen damit an Kraft vor der Kamera. Das Gegenbeispiel liefert Katja Bürkle, gefeiertes Ensemblemitglied einst im Schauspiel Stuttgart. Das Theater erfordert allen Einsatz – und Bürkle legt denn als Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zur einstigen Pleite mit einem doch als „Filetstück“ gehandelten Bebauungsareal von „Stuttgart 21“ entsprechend los.

Richy Müller dagegen lässt die Kamera (Stefan Sommer) kommen – nicht anders als Thomas Thieme. Und so machen der Ermittler und der Stammheim-Freigänger die Mordsache fast gänzlich unter sich aus. Umso mehr, als Felix Klares Bootz für diese 90 Minuten seiner Leidenstiefe beraubt ist. Kein persönliches Elend, nirgends – auch als Kommissar darf man mal durchatmender Filmmitläufer sein. Einmal aber lässt Niki Stein dem Ermittler doch Gefühlsleine – was Klares Bootz nicht anders zu nutzen weiß, als der Chefin des Untersuchungsausschusses beim freundlichen Abendschluck die Ränkespiele eines politischen Alphatiers vorzuwerfen. Die Dame schaut, dankt und zahlt – und in dieser Szene ist Katja Bürkles gespielte Wut und Verachtung einfach großartig.

Wer in diesem Tableau, das ein comic-hafter Investorenbubi vervollständigt, aber hat nun den ehemaligen Baustaatssekretär ermorden lassen? Für die Antwort fischt die Kamera im Trüben, taucht mit dem Freigänger aus der Justizvollzugsanstalt Stammheim in das Außenbecken des Mineralbads Berg ab. Dessen Wasser hat seine ganz eigene Konsistenz, verwirrt Unkundige und klärt vielleicht gerade drum das Denken seiner Nutzer. Dass das Berg, noch Stuttgarts herausragendes (und doch schon eines Kernstücks, einem Glasbild von Max Ackermann, beraubten) Gesamtkunstwerk, an einer „Tatort“-Stelle als „Thermalbad“ tituliert wird, ist im wahren Leben Menetekel genug für die beschlossene Sanierung.

Klären sich für den tief gefallenen Baulöwen, der sich doch einst in der Rolle sah, Stuttgart mit seinen Entwürfen für das „Gleisdreieck“ „Großes zu schenken“, im Mineralwasser die (Rache-)Gedanken?

Bevor Thomas Thieme wirkungsvoll aus dem Wasser auftaucht, ist da noch eine andere Unklarheit: Wer ist eigentlich „der Inder“, der doch sogar titelgebende Kräfte hat. Die Aufklärung erscheint als müde Pointe, ist aber in der Spekulation vor allem mit dem Bau von Hotels und Erlebnisbädern doch nicht ganz aus der Luft gegriffen. Im Ringen um eine Landesbürgschaft hat man wegen ähnlich klingender Namen einen Taxifahrer für den Spross eines indischen Stahlmagnaten gehalten.

Nichts ist zu peinlich, um wahr zu sein – ist das die „Inder“-Botschaft? Ein wenig mehr hätte es bei so viel Unruhe-Inszenierung schon sein dürfen.