Das Stuttgarter Aktionsbündnis 8. März Foto: Kathrin Wesely

Ein Flashmob erinnert an die weiblichen Opfer die seit Anbeginn dieses Jahres von ihren Männern, Brüdern, Stalkern und anderen Männern aus ihrem Umfeld getötet wurden. Aktionsbündnis’ 8. März meint, es dringend geboten, diese Taten als Femizide zu kennzeichnen.

S-Süd - Vom Flashmob auf dem Marienplatz waren am Sonntag nur noch Zettel am Boden übrig. Grabkerzen hinderten sie daran, fortgeweht zu werden. Es wurde erinnert an Sophie N., 23 Jahre, diesen Januar „von ihrem Stalker ermordet“, an Sylvia S., 56 Jahre, im Januar „von ihrem Sohn ermordet“, an Katrin R., 34 Jahre, im März „von ihrem Ehemann ermordet“ und noch an etliche weitere Frauen, denen seit Anbeginn des Jahres von Männern, die ihnen nahe gestanden hatten, Gewalt angetan worden war. Ein aktueller Fall in Hamburg nahm das Stuttgarter Aktionsbündnis 8. März (Internationaler Weltfrauentag) zum Anlass, auf die Häufung von Gewalttaten gegen Frauen aufmerksam zu machen.

Erschütternde Botschaften

Vor dem Hintergrund der Pandemie und der massiven Proteste gegen die aktuellen Schutzmaßnahmen wäre die Protestaktion des Frauenbündnisses vermutlich komplett untergegangen, hätte es nicht seine Grablichter und Zettel mit den erschütternden Kurznachrichten auf dem Marienplatz hinterlassen. Und mancher Passant mag sich verwundert gefragt haben: All diese Taten in der jüngsten Zeit ereigneten sich hier in Deutschland? Nicht etwa in Mexiko oder einem theokratisch regierten Schwellenland?

Laut den Recherchen des Stuttgarter Aktionsbündnis’ offenbar nicht, und es warnt gar vor einer Zuspitzung der Verhältnisse während der Pandemie: „Vor allem jetzt in Zeiten von Homeoffice, Social Distancing und Jobverlusten können Frauen sich der Gewalt kaum noch entziehen. In China ist die Fallzahl von Gewalt an Frauen seit dem Corona-Shutdown um das Dreifache gestiegen.“ Indessen stünden viele Anlaufstellen für Frauen in Not auf wackeligem Fundament: „Frauenhäuser und -beratungsstellen sind unterfinanziert und maßlos überlastet.“

Kein Platz für Frauen in Not

Das Sozialministerium des Landes geht in der Tat von derzeit rund 630 Plätzen aus, die fehlen. Im Moment gibt es etwa 340 Plätze für Frauen und mehr als 400 Plätze für Kinder in den insgesamt 42 vom Land geförderten Frauenhäusern. Die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser indessen schätzt, dass der Bedarf weit größer ist, und sie hält die 630 Plätze, die das Sozialministerium als Desiderat nennt, lediglich für den „absoluten Mindeststandard“, der möglichst schnell erweitert werden müsste.

Andrea Bosch von der Koordinierungsstelle der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser ist beunruhigt über Berichte von häuslicher Gewalt aus China, Italien und Spanien. Diese ließen vermuten, dass die Gewalt auch hierzulande zunehmen dürfte. Insbesondere mit den Lockerungen der Sperren bedürften die Opfer häuslicher Gewalt vermehrt des Schutzes. Fachkreise berichten davon, dass finanzielle Engpässe und das erzwungene enge Zusammenleben der Familien das Konfliktrisiko erhöhen. Manche Menschen, die jetzt erfahren, wie ihnen die Kontrolle über verschiedene Lebensbereiche entgleite, kompensieren dies, indem sie ihre Partner mit Gewalt kontrollieren.

Frauenmorde werden verharmlost

Dass eher Frauen als Männer zu Opfern werden, sei kein Zufall, sondern strukturell bedingt, so die Überzeugung des Aktionsbündnis’ 8. März: Würde man die Morde an Frauen in der Öffentlichkeit als „Femizide“ bezeichnen, wäre allen klar, „dass diese Morde keine tragischen Einzelfälle und keine Familiendramen sind, sondern struktureller Teil unserer Gesellschaft“. Die Taten nicht als gegen Frauen gerichtet zu kennzeichnen, sei „aktive Verharmlosung“. Das Stuttgarter Bündnis will solche Tendenzen aufzeigen und ihnen entgegentreten. „Gemeinsam machen wir auf die Situation von Frauen in der Gesellschaft aufmerksam und stehen für unsere eigene Befreiung ein.“