Alle fünf Jahre suchen die Gerichte Schöffen wie jetzt für die Periode 2014 bis 2018. In Stuttgart werden 750 Schöffen und 250 Jugendschöffen für das Landgericht Stuttgart und die beiden Amtsgerichte Stuttgart und Bad Cannstatt benötigt. Foto: dpa

Noch bis Ende Februar können Stuttgarter sich als Schöffen an Amts- und Landgericht für die Periode 2014 bis 2018 bewerben. Bei zu wenigen Bewerbungen werden Bürger ausgewählt. Wie Ingrid Geldmeyer. Sie findet, dass das Schöffenamt besser beworben werden muss.

Stuttgart - Die Ladung erreicht Ingrid Geldmeyer immer per Post. Wann die 63 Jahre alte Stuttgarterin das nächste Mal zu einer Verhandlung am Amtsgericht erscheinen muss, steht darin. Geldmeyer ist Schöffin, Laienrichterin. Seit neun Jahren. Nicht freiwillig. Sie wurde ausgewählt. Mit 55 Jahren das erste Mal als Hilfsschöffin am Oberlandgericht Stuttgart. Seit 2009 ist sie Schöffin am Amtsgericht.

Alle fünf Jahre suchen die Gerichte Schöffen wie jetzt für die Periode 2014 bis 2018. In Stuttgart werden 750 Schöffen und 250 Jugendschöffen für das Landgericht Stuttgart und die beiden Amtsgerichte Stuttgart und Bad Cannstatt benötigt. Eine Voraussetzung: Sie müssen in Stuttgart wohnen. Deutschlandweit gibt es mehr als 60.000 Laienrichter allein in der Strafgerichtsbarkeit. Dass an Amts- und Landgerichten Berufsrichter von je zwei Schöffen unterstützt werden müssen, steht im Gesetz. Schöffen agieren quasi als des Volkes Stimme. Gehen bis Ende Februar zu wenige Bewerbungen ein, werden Personen anhand ihrer Meldedaten zufällig ausgewählt.

„Bisher haben wir mehr als 100 Bewerbungen für das Schöffenamt in der Erwachsenengerichtsbarkeit bekommen“, sagt Walburga Schmidt vom Statistischen Amt. „Außerdem schreiben wir 1500 amtierende Schöffen an, die noch eine zweite Amtsperiode wahrnehmen könnten, sowie ehemalige Schöffen aus unserer Datenbank.“ Für gewöhnlich reißen die Bürger sich nicht um das Amt, ein Ehrenamt. Wer ausgewählt wird, muss es wahrnehmen - es gibt nur wenige Ausnahmen. Andernfalls droht ein Ordnungsgeld von bis zu 1000 Euro.

Schöffin Geldmeyer versteht die Zurückhaltung der Bürger. „Man muss das Schöffenamt besser bewerben.“ Viele Menschen wüssten zum Beispiel nicht einmal, dass die Tätigkeit gar nicht so zeitintensiv ist wie vielleicht befürchtet. Geldmeyer erhält zu Jahresbeginn eine Übersicht, auf der neun bis zehn Termine stehen. „Ich werde aber nie zu allen herangezogen. Letztlich nehme ich im Jahr an sechs bis acht Verhandlungen teil.“ Meist dauern sie einen halben Tag. Und reichen von Verkehrs- und Drogendelikten bis hin zu Betrug, schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung

Gelernt, was die Gesellschaft ausmacht

Probleme mit ihrem Arbeitgeber hatte Geldmeyer, seit einem Jahr im Vorruhestand, nie. „Mit etwas gutem Willen kriegt man das organisiert.“ Die Sillenbucherin erinnert sich nur an ein Mal, bei dem ein Gerichtstermin auf eine wichtige Tagung gefallen ist. Letztlich ist ein Hilfsschöffe eingesprungen. Andererseits ist Geldmeyer davon überzeugt, dass es durchaus zu Problemen mit dem Chef kommen kann, vor allem, wenn man als Hilfsschöffe spontan zu einem Termin gerufen wird. „Dem Arbeitnehmer bleibt bloß, an den Arbeitgeber zu appellieren. Man hat schließlich ein verpflichtendes Ehrenamt.“ Paragraf 45, Abs. 1a des Deutschen Richtergesetzes schützt den Arbeitnehmer vor Kündigung oder Benachteiligung wegen seinem Ehrenamt.

Geldmeyer sagt auch, sie habe ihr Amt nie bereut, sondern im Gegenteil einen Gewinn daraus gezogen. Nicht nur wegen der Einblicke ins deutsche Recht. „Ich habe gelernt, was unsere Gesellschaft ausmacht, positiv wie negativ.“ Drogenhändler etwa seien als Abschaum verpönt. „Doch teilweise sind sie Opfer. Hinter ihnen und ihren Taten stecken Menschen, Schicksale, familiäre Verflechtungen.“ Geldmeyer erinnert sich an einen Fall, bei dem alles anders war, als es schien. Sie saß wegen Körperverletzung im Gerichtssaal. „Es stellte sich heraus, dass der Mann psychisch krank war, also aufgrund seiner Persönlichkeit ein Opfer. Für uns stellte sich damit die Frage, wie man ihn am besten vor sich selbst schützen kann.“

Leicht sei es natürlich nicht, jemanden ins Gefängnis zu stecken, sagt Geldmeyer, die sich im Gericht immer gut aufgehoben gefühlt hat. „Man kann aber eine Strafe zur Bewährung aussetzen und so dem Angeklagten die Möglichkeit geben, sein Leben in Griff zu kriegen.“ Das sei oft das Bestreben der Richter.

„Unsere Einschätzung ist immer wichtig gewesen“

Nach der Verhandlung zieht der Richter sich mit den Schöffen zur Beratung zurück. Die Zwei-Drittel-Mehrheit entscheidet über die Frage der Schuld und die Rechtsfolgen der Tat. „Schöffen haben Einflussmöglichkeiten. Dem Richter ist unsere Einschätzung bisher immer wichtig gewesen“, sagt Geldmeyer.

Vor einer Verhandlung bleibt dem Richter dagegen kaum Zeit für die Schöffen. Er erscheint pünktlich am Gericht und erläutert den Schöffen dann nur kurz, was man dem Angeklagten vorwirft, oder drückt ihnen die Anklageschrift in die Hände. Den Zeitmangel sieht Geldmeyer zwiegespalten. „So geht man zwar unvoreingenommen in die Sitzung. Gerade in schwierigen Fällen wäre aber eine Viertel Stunde Zeit zum Einlesen besser. Manche Fälle sind schwer zu durchschauen. Aber man kriegt auch das hin.“ Unterstützung bietet die Schöffenvereinigung in Form von Seminaren. Zudem gibt es eine Auftaktveranstaltung.

Das Schöffenwahlsystem wird von Experten wie Hasso Lieber, Präsident des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, kritisiert. Aus den Vorschlagslisten, die Kommunen für den Schöffenwahlausschuss erstellen, geht nicht hervor, ob jemand sich beworben hat oder zufällig ausgewählt wurde. So kann es passieren, dass Bewerber nicht zum Zug kommen. Geldmeyer hingegen glaubt, dass sich aus Zeitgründen ohnehin überwiegend Menschen über 55 für das Amt bewerben und kaum Jüngere. „Es ist wichtig, dass auch 30- bis 40-Jährige beansprucht werden. Das Schöffenamt muss aus einem breiten Spektrum an Bürger bestehen.“

Nach zwei Amtsperioden muss Geldmeyer die nächsten fünf Jahre aussetzen als Schöffin. Jetzt, wo sie mit dem Gedanken spielt, sich zu bewerben.