Auf vielen Wegen des Friedhofs sprießt das Unkraut. Foto: Caroline Holowiecki

Déjà-vu in Stuttgart-Sillenbuch: Vor einem Jahr hatte ein Bürger moniert, dass der Friedhof völlig verlottert. Jetzt hat sich wieder eine Leserin gemeldet. Wir haben nachgeschaut.

Sillenbuch - Gudrun Ott-Häbich ist eine agile, schaffige Frau. Aber selbst wenn die 66-Jährige aus Heumaden mal das Bedürfnis hätte, sich kurz ausruhen zu wollen: Auf die Bank neben den Familiengräbern, die sie auf dem Friedhof in Alt-Sillenbuch pflegt, würde sie sich nicht setzen wollen. Die Sitzgelegenheit ist zugewuchert. Zweige und Halme drücken sich von unten und hinten durch die Ritzen zwischen den Holzlatten, von allen Seiten ragt teils dorniges Gestrüpp heran. Das Mäuerchen dahinter ist unter einem grünen Wall begraben. „Die einen finden das vielleicht wild-romantisch“, sagt Gudrun Ott-Häbich mit hochgezogenen Augenbrauen, sie indes findet das Bild, das der Friedhof von 1870 abgibt, einfach ärgerlich.

Platten fehlen oder sind abgesackt

Vor allem der untere Teil des abschüssigen Geländes wirkt verlottert. Wege sind derart zugewuchert, dass man Steine, Sand oder Asphalt kaum erkennt, Platten fehlen oder sind abgesackt. Besonders augenscheinlich: Viele Gräber sind sehr ungepflegt. Zotteliges Gestrüpp ragt stellenweise weit in Wege hinein. Auf einem Grab hat sich ein etwa drei Meter hoher Baum derart breitgemacht, dass der Gedenkstein unsichtbar ist. Der Mitarbeiter einer Grabpflegefirma, der auf dem Friedhof gerade gießt, erklärt, dass es sich bei dem kapitalen Busch tatsächlich um Efeu handelt. „Das wächst wie ein Baum, wenn es etwa 25 Jahre und älter ist“, sagt der Experte.

Die Zustände auf dem Friedhof in Alt-Sillenbuch sind ein bekanntes Ärgernis. Bereits im Oktober 2017 hatte sich ein 83-jähriger Anwohner bei unserer Zeitung gemeldet und auf die fehlende Pflege aufmerksam gemacht. „Hier sind viele alte Leute unterwegs, an die sollte man auch denken“, hatte er seinerzeit angesichts des rutschigen Mooses auf den Wegen und vieler Stolperfallen gesagt. Mitarbeiter des städtischen Friedhofsamts hatten nach der öffentlichen Kritik zeitnah für Ordnung gesorgt. Per Handarbeit, denn Pflanzenvernichter wie Glyphosat sind in Stuttgart verboten. Ein Jahr später hat sich das Grün allerdings wieder seinen Weg gebahnt. „Leider war die damalige Aktion der Stadt wohl eine Eintagsfliege“, moniert Gudrun Ott-Häbich.

Gräber müssen äußerst selten eingeebnet werden

Bei der Stadt heißt es auf Anfrage, dass das vierköpfige Team, das für diesen und die drei weiteren Friedhöfe im Bezirk zuständig sei, die Anlage in Alt-Sillenbuch abermals in Augenschein genommen habe und sie nicht grundsätzlich ungepflegt finde. Dennoch würden jetzt kurzfristig Pflegemaßnahmen in einzelnen Bereichen, etwa an den Bänken, erfolgen, teilt Martin Thronberens, ein Sprecher der Verwaltung, fürs Friedhofsamt mit. Bei ungepflegten Gräbern sei das Prozedere schwieriger. Die sogenannten Nutzungsberechtigten würden schriftlich aufgefordert, die Mängel zu beheben, täten sie das nicht, würde erst gemahnt und danach eine Einebnung der Grabstätte angeordnet, „das kommt aber äußerst selten vor“, sagt Thronberens.

Gudrun Ott-Häbich hat bereits ihre Konsequenzen gezogen. „Für mich hat das nichts mit einer gepflegten Anlage zu tun“, stellt sie klar, und immerhin zahle man für die Gräber nicht zu knapp. „Es macht keinen Spaß mehr“, sagt sie. Das Grab, in dem ihr Onkel und ihre Tante bestattet wurden, hat sie „aufgrund dieser Zustände“ nicht verlängert. Bevor der Friedhof weiter vor sich hinvegetiere, solle man ihn lieber gleich schließen, findet sie, „fertig, aus“.