Die Nachfrage nach Wohnungen ist groß – notfalls auch am Laternenmast. Foto: Caroline Holowiecki

Obwohl der Grund zu den teuersten in Stuttgart gehört, ist das Bauen in Sillenbuch lukrativ. Immer mehr kleinere alte Häuser werden abgerissen, damit Mehrfamiliengebäude entstehen können. Doch viele Anwohner sind wenig begeistert über die wachsende Nachverdichtung.

Sillenbuch - Die lächelnden Gesichter trotzen der Kälte. Seit Wochen hängt das Papier am Laternenmast an der Ecke von Kirchheimer und Tuttlinger Straße – einer der Hauptkreuzungen in Sillenbuch – und hat sowohl Hitze als auch Frost über sich ergehen lassen. „Wir suchen eine Wohnung“ ist auf dem welligen Papier unter dem großen Schwarz-Weiß-Bild der Dauerlächler zu lesen. Die Innenarchitektin und der Teamleiter konkurrieren mit dem Studentenpaar, das auf dem Laternenmast direkt daneben für sich wirbt und mit deren gemeinsamen Kind, das bald geboren werden soll, punkten will.

Die Wohnungsnot in Stuttgart macht erfinderisch. Und der Stadtteil Sillenbuch zählt zu den besonders begehrten Wohnlagen, sagt der Bezirksvorsteher Peter-Alexander Schreck. „Sillenbuch ist attraktiv und die Nummer eins auf den Fildern.“

Kleinere alte Häuser müssen für Mehrfamiliengebäude weichen

Nicht zuletzt deswegen wird hier seit Jahren in teils großem Stil gebaut. Nachverdichtung ist das Zauberwort. Baufirmen kaufen kleinere alte Häuser samt Grundstück, reißen die Immobilien ab und bauen Mehrfamiliengebäude an derselben Stelle. „Sillenbuch ist gekennzeichnet durch alte Ein- und Zwei-Familien-Haus-Gebiete, Neubaugebiete aus den 30ern, deren Grundstücke bisher nicht ausgenutzt wurden. Jetzt wird nachverdichtet. Das ist der Lauf der Zeit“, erklärt Ulrich Wecker, der Geschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins Stuttgart. Auch der Bezirksvorsteher bestätigt: „Die Bebauungspläne lassen heute mehr zu, und das wird in Anspruch genommen; das ist kein spezifisches Problem von Sillenbuch.“

In den vergangenen Jahren hat der Stadtteil nach und nach sein Gesicht verändert, vor allem am „Hotspot“, wie Peter-Alexander Schreck die Kirchheimer Straße nennt. Hier wird sich demnächst wieder etwas tun. Unmittelbar an der Haltestelle „Schemppstraße“ wirbt bereits seit Monaten die Firma Röwisch Wohnbau aus Schwäbisch Hall mit großen Plakaten für ein Neubauprojekt – und dies, obwohl das Grundstück Nummer 109 nach wie vor mit einem Haus bebaut ist.

Bauen in Sillenbuch lohnt sich

Projektiert sind auf dem Areal ein Zwei- und ein Vier-Familien-Haus, sagt der Röwisch-Mitarbeiter Markus Dürr. Das Filetstück soll eine 150-Quadratmeter-Wohnung sein. Das Baugesuch ist eingereicht. Wir hätten gern schon losgelegt“, sagt Dürr. Im März, April, hofft man bei Röwisch, könnten die Verkaufsgespräche und zeitnah die Arbeiten beginnen. Zumal der Bauträger ein zweites Eisen an der Kirchheimer Straße im Feuer hat. Im Dezember hat die Firma ein Baugesuch für das Grundstück mit der Nummer 76 eingereicht, das einen noch größeren Umfang haben soll als das auf Grundstück 109. Dürr: „Die Wohnlage ist begehrt. Wir haben jetzt schon viele telefonische Anfragen.“

Bauen in Sillenbuch ist lukrativ, obwohl die Grundstücke teuer sind. Die jüngste Bodenrichtwertkarte der Stadt zeigt, dass die Grundstückspreise im Ortsteil mit durchschnittlich bis zu 1590 Euro pro Quadratmeter mittlerweile zu den höchsten in Stuttgart gehören. Und dabei ist dies der Wert vom 31. Dezember 2015, betont Steffen Bolenz von der städtischen Abteilung Immobilienbewertung und Beiträge. In der Zwischenzeit dürften die Preise um einiges höher liegen. Bauen lohnt sich trotzdem. Im zweiten Quartal 2016 lagen die Quadratmeterpreise für Neubauwohnungen in Sillenbuch zwischen 4780 und 6496 Euro.

Anwohner protestieren gegen die Nachverdichtung

Nicht selten regt sich Protest gegen die Nachverdichtung im großen Stil. So gingen in der Vergangenheit die Bewohner einer kleinen Stichstraße gegen das Bauprojekt an der Tuttlinger Straße 22 auf die Barrikaden. Sie nahmen sich Anwälte, gründeten eine Bürgerinitiative und sammelten mehr als 1000 Unterschriften gegen den Abriss eines Hauses und den Bau zweier neuer, deutlich größerer Gebäude.

Gebracht hat es nichts. Seit Wochen dreht sich ein Kran über der Baugrube. Erste Wände stehen, sehr zum Missfallen der Nachbarn, wie man vor Ort erfährt. Haus-und-Grund-Chef Ulrich Wecker hat Verständnis für die Wut jener, in deren Nachbarschaft üppig gebaut wird, betont aber auch, dass die Vorgehensweise durchaus erlaubt sei. In etlichen Gebieten gebe es nicht mal einen gültigen Bebauungsplan, dort gelte, dass sich ein Bauprojekt in die Umgebung einfügen müsse. „Das ist ein weiter Begriff“, sagt der Experte.

Gewisse Bereiche können nicht bebaut werden

Nicht überall in Sillenbuch ist aber alles erlaubt. Susanne Frucht, die Leiterin der Abteilung Städtebauliche Planung Filder, erklärt, dass es etwa für das historische Alt-Sillenbuch und auch die sehr luftig bebaute Landstadt-Siedlung Erhaltungssatzungen gibt. Das heißt: Das homogene, kleinteilige Erscheinungsbild muss gewahrt werden. Auf der „grünen Wiese“ habe man allerdings auch keine Flächen in petto. Die Bautätigkeit beschränkt sich also auf gewisse Bereiche im Bezirk.

Der Bezirksvorsteher Schreck versteht, dass diese Verteilung oft für Ärger sorgt. „Ich habe Verständnis für den Unmut, die Leute sind konsterniert, und das ist berechtigt.“ Protest allein aus persönlicher Betroffenheit heraus betrachtet er jedoch als kritisch. „Die Verwaltung arbeitet hochprofessionell und rechtlich wasserdicht. Irgendwann reiten die, die sich beschweren, ein totes Pferd.“