Unter anderem im Stadtteil Hoffeld vermutet die Stadtverwaltung noch Potenziale für den Wohnungsbau. Näheres will man bis 2020 klären. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wohl frühestens Anfang 2020 wird es Klarheit geben, wo in Stuttgart bestehende Wohngebiete aufgerüstet werden könnten. Die Verwaltung hat das Dichtekonzept in rund fünf Jahren nicht fertig bekommen. Sie plant nun eine umfänglichere Bestandsaufnahme.

Stuttgart - Dem grünen OB Fritz Kuhn müssten am Dienstag eigentlich die Ohren geklingelt haben: In seiner Abwesenheit ist im Ausschuss für Umwelt und Technik fast schon ein Strafgewitter über seine Verwaltung niedergegangen. Ihre Bemühungen, in bestehenden Wohngebieten mehr Wohnungen unterzubringen, galten einer breiten Mehrheit im Ausschuss von rechts bis ganz links als verheerend schlecht. Rückendeckung erhielt die Verwaltung zwar für die Schaffung von acht neuen Stellen zur Beschleunigung von Wohnungsbauvorhaben und außerdem für die Absicht, Investoren bei Projekten der Innenentwicklung einen höheren Anteil von Sozialmietwohnungen abzuverlangen; doch Lob gab es auch hier kaum. Nach wie vor haben Kuhn, seine Wohnbaupolitik und die Umsetzung in der Verwaltung einen schweren Stand im Gemeinderat.

SÖS/Linke-plus spricht von Neustart

SPD-Fraktionschef Martin Körner sah rot, als die Verwaltung eine Vorlage in die Beratungen einspeiste, die am 18. Dezember beschlossen werden soll und die auf die Einholung einer „Potenzialanalyse Wohnen“ zielt. Dieser Titel ersetze den alten Begriff des „Dichtekonzeptes“, erklärte Städtebau- und Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne) in dem Papier. Die Ergebnisse von externen Experten wolle man den Stadträten im Frühjahr 2020 vorlegen. Das empfanden die Fraktionen allerdings als Schlag ins Kontor.

Grund: Schon vor fünf Jahren habe man der Verwaltung Gelder bewilligt für das Erarbeiten eines Dichtekonzepts, erinnerte Körner. Dieses Konzept soll die sogenannte systematische Nachverdichtung von Wohngebieten durch Aufstockungen, Anbauten, Neubauten auf Restflächen oder größere Neubauten anstelle von abzubrechenden Altbauten wie jüngst in der Keltersiedlung in Zuffenhausen vorbereiten. Doch ein ums andere Mal wurde die Vorlage des Dichtekonzepts verschoben, wurden Fraktionen vertröstet. Und nun folgten die Kurskorrektur des Bürgermeisters und das Eingeständnis des Abteilungsleiters Matthias Bertram vom Stadtplanungsamt: „Anfangs des Jahres haben wir das Thema geerbt und gesehen, dass wir da eigentlich nicht weitermachen können, ohne den Blick auf die Gesamtstadt zu werfen.“

Verwaltung strebt flächendeckende Überprüfung an

Dahinter steht eine bittere Erkenntnis: Wenn man sich gezielt auf einzelne Stadtteile konzentriert, gibt es dort Widerstände und Fingerzeige zu anderen Stadtteilen. Daher will die Verwaltung das Stadtgebiet flächendeckend betrachten lassen und aufzeigen, in welcher Form dort Nachverdichtung möglich erscheint. Zudem will man neben den rein baurechtlichen Aspekten die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Verkehrs- und Sozialinfrastruktur bedenken. Auch mit den neuen Daten werde man in den betroffenen Bezirken vielleicht nicht willkommen sein, sagte Bertram, aber man könne vielleicht mit besseren Argumenten um Akzeptanz werben. Zudem hirnt die Verwaltung, wie sie sich in Gebieten mit hohen Potenzialen Vorkaufsrechte für Grundstücke verschaffen kann. Christoph Ozasek (Die Linke) sprach daher davon, dass Pätzold auf den Knopf für einen Neustart drücken wolle und gab Körner recht, der „behördlichen Schwergang“ beklagte und von einem „Offenbarungseid der Wohnungsbaupolitik“ unter Kuhn sprach. Carl-Christian Vetter (CDU) zeigte sich „mehr als enttäuscht“, dass Ergebnisse nun erst 2020 zu erwarten seien.

Die Grünen sagen, man ziehe die Reißleine

Bürgermeister Pätzold bestritt, dass er auf den Neustart-Knopf drücke. Man arbeite auf breiterer Front und gezielt weiter. Aber sogar seine Parteifreundin Beate Schiener sprach davon, dass man „schweren Herzens“ die Reißleine ziehe, „richtigerweise“. Auch die Grünen-Fraktion habe „das Dichtekonzept erwartet“. Schiener hofft, dass man es wie in Zürich schaffen kann, die Bevölkerung mitzunehmen – im Grunde dadurch, dass man die Nachteile von Baumaßnahmen vorm Haus schmackhaft macht durch die Chancen einer besseren Nahversorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs und eines leistungsfähigeren öffentlichen Nahverkehrs. Grünen-Fraktionschef Andreas Winter kritisierte „pharisäerhafte“ Haltungen in Fraktionen, denen es bei der systematischen Nachverdichtung angeblich nicht schnell genug geht, die aber bei Einzelprojekten Bedenken vorbrachten. Gemeint war die CDU im Fall Fasanenhof und die Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus im Fall Keltersiedlung. Doch ohne Abrisse von Altbauten hätte man dort „die Verdichtung nicht hinbekommen“, sagte Pätzold.

Am Ende gab der Ausschuss die Vorlage ohne Beschluss für die weiteren Beratungen frei – Ausgang ungewiss. Die Fraktionen möchten erst noch klären, ob bisherige Ergebnisse eine Handhabe liefern.