Der 19-Jährige hat die Attacke auf seine Schwester vor Gericht gestanden. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die junge Frau, die von ihrem Bruder mit einem Baseballschläger schwer verletzt worden ist, wird nicht gegen den Angeklagten aussagen.

Stuttgart - Der 19-jährige Deutsche mit afghanischen Wurzeln, der vor dem Landgericht des versuchten Mordes an seiner ein Jahr älteren Schwester angeklagt ist, hat vorgelegt. Er hat die Attacke mit einem Baseballschläger gestanden – auch wenn einige Fragen unbeantwortet blieben. Und er hat am dritten Tag des Prozesses vor der 4. Jugendstrafkammer seinen Lebenslauf skizziert. Das Opfer jedoch, das sich in dem Verfahren als Nebenklägerin von Anwalt Markus Okolisan vertreten lässt, wird aller Voraussicht nach schweigen.

Es heißt, die Schwester des Angeklagten und ihre Familie hätten sich versöhnt. Das ist wohl einer der Gründe, warum die gelernte Zahnarzthelferin nicht gegen ihren Bruder in den Zeugenstand treten will. Sie ist dem Verfahren bisher ferngeblieben. Beim nächsten Prozesstag am 3. März soll sie zwar befragt werden – aber nur zu ihren jetzigen Lebensumständen. Die Tat und das Verhältnis zu ihrer Familie vor der Attacke sollen ausgeklammert bleiben. Ihre Eltern und ihre Geschwister machen ohnehin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Der Angeklagte sagt, er habe allein gehandelt

Der junge Angeklagte, der nach dem mittleren Schulabschluss als Teilzeitverkäufer jobbte und noch bei seinen Eltern wohnte, besteht darauf, allein gehandelt zu haben. Niemand habe ihn geschickt. Daran, dass ihn sein älterer Bruder am Tattag gegen 4 Uhr – also drei Stunden vor der Attacke – angerufen hatte, könne er sich nicht erinnern. Außerdem habe er eigentlich dem Freund seiner Schwester eine Abreibung verpassen wollen. Ihn macht der 19-Jährige dafür verantwortlich, dass seine Schwester die Familie verlassen hat.

Die Polizei hatte festgestellt, dass das Handy eines seiner Freunde zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts eingeloggt war. Ob dieser Freund ihn nach Zuffenhausen zur Schwester gefahren habe? „Nein, ich war allein“, so der 19-Jährige. Woher er gewusst habe, wo der Freund seiner Schwester wohnt? „Das sage ich nicht.“ Woher er den Baseballschläger hatte? „Das will ich nicht sagen.“ Ob er kräftig zugeschlagen habe? „Jein.“

Die Eltern sind vor mehr als 30 Jahren von Afghanistan nach Deutschland gekommen. Alle ihre fünf Kinder sind hier geboren. „Sie haben immer Wert darauf gelegt, dass alle lernen und Ausbildungen machen“, so der 19-Jährige. Er selbst habe nach der Schule ein Berufskolleg besucht und sich als Einzelhandelskaufmann beworben. Sport sei ihm sehr wichtig, er habe im Verein Fußball gespielt und früher Karate gemacht. Er trinke keinen Alkohol. „Religion spielt eine wichtige Rolle für mich“, sagt er. Die Familie sei gut miteinander verbunden.

Nach islamischem Recht verheiratet

Das scheint sich, was die Schwester angeht, geändert zu haben. Im April 2018 war sie mit einem Vetter aus den Vereinigten Staaten nach islamischem Recht verheiratet worden. Sie hat auch kurzzeitig in den USA gelebt, war dann aber zurückgekommen. Ende 2018 verließ sie die Familie und zog zu ihrem Freund nach Zuffenhausen. Das scheint der Angeklagte als eine Art Verrat verstanden zu haben. Offenbar nicht nur er. Denn die Polizei nahm den älteren Bruder kurz in U-Haft, weil er die Schwester bedrängt haben soll. Am 15. Juli 2019 fuhr der Angeklagte jedenfalls nach Zuffenhausen. Er hatte einen Baseballschläger dabei.

An der Haltestelle Hohensteinstraße stellte er gegen 7.10 Uhr seine Schwester und schlug ihr mit dem Holzknüppel gegen den Kopf. Die Frau erlitt eine Fraktur im Gesicht. Weitere Schläge wehrte sie ab und flüchtete zu Passanten, die auf den Bus warteten. Ihr Bruder floh, wurde aber am frühen Abend zu Hause festgenommen. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Der Prozess wird fortgesetzt.