CDU fragt sich, ob Schub für Wolfgang Schuster reicht - Polarisierer Palmer dürfte es schwer haben.

Stuttgart - In den Parteizentralen wird seit Sonntagabend neu gerechnet. Vor der OB-Wahl 2012 in Stuttgart glaubt Amtsinhaber Wolfgang Schuster Rückenwind zu spüren. Besonders die Grünen müssen sich bei der Kandidatensuche neu ordnen. Einer wie ihr Boris Palmer scheint plötzlich gar nicht mehr zu passen.

Kein anderer Grüner außer Verkehrsminister Winfried Hermann wird so mit der Ablehnung von Stuttgart21 verbunden wie Boris Palmer. Noch vor kurzer Zeit schienen seine Angriffslust und Popularität bei den Projektgegnern ein Pfund zu sein, mit dem die Grünen wuchern könnten. Seit Sonntagabend jedoch ist klar, dass selbst in Stuttgart die Befürworter des Projekts in der Mehrzahl sind. Ein Polarisierer wie Palmer, an dem sich die Menschen scheiden, dürfte es schwer haben, im konservativ-bürgerlichen Lager Stimmen zu gewinnen - und im eigenen Lager könnten Stimmen an Mitbewerber aus diesem Spektrum verloren gehen. Wird bei der OB-Wahl nun also definitiv nicht mit Palmer zu rechnen sein?

Der talentierte Grüne selbst sagt dazu auch nach der Volksabstimmung, was er vorher gesagt hatte: "Ich bin gerne OB in Tübingen und will meine Aufgabe hier erfüllen." Davon weicht Palmer keinen Jota ab. Auch die Frage, ob er seine Aufgabe in Tübingen bis zum Ende der Amtszeit erfüllen wolle, lässt er unbeantwortet. So bleibt bei Palmer stets etwas Restrisiko. Damit zu leben, haben die CDU-Funktionäre in Stuttgart freilich schon vor der Volksabstimmung gelernt. Gefährlicher für die CDU wäre es, heißt es bei ihnen, wenn es den Grünen gelänge, den Freiburger OB Dieter Salomon als Kandidaten nach Stuttgart zu locken.

"Ich weiß, dass ich in CDU-Kreisen in diesem Sinne gehandelt werde", sagte Salomon dazu am Montag, "aber ich kann die Christdemokraten beruhigen. Ich bin hier für weitere sechseinhalb Jahre gewählt, und ich fühle mich hier wohl. Mich zieht überhaupt nichts weg."

Am Donnerstag soll die Kandidatensuche bei den Stuttgarter Grünen besser in Fahrt kommen. Dann wird die Kreismitgliederversammlung die Findungskommission bestimmen.

Nicht nur bei ihnen, auch bei anderen Parteien wurde die Suche bisher eher mit gebremstem Charme betrieben. Motto: Warten wir doch erst mal ab, ob Wolfgang Schuster von der CDU am 9.Januar seine erneute Bewerbung für vier Amtsjahr bis zu seinem 68. Geburtstag ankündigt - oder seinen Verzicht. Dann wisse man, heißt es bei den Grünen, ob man es mit einem Mitbewerber mit Amtsbonus bzw. Amtsmalus zu tun haben wird. Daran könne sich entscheiden, ob die Partei unter mehr oder weniger Aspiranten mit Aussicht auf Erfolg wählen könnte.

Lediglich bei der FDP zeichnet sich bisher klar ab, dass sie Schuster durch den Verzicht auf einen Gegenkandidaten unterstützen würde. Die Entscheidung treffe allerdings der komplette Kreisvorstand, sagt der Vorsitzende Armin Serwani.

Nicht einmal die CDU hat sich bisher schon entschieden, wieder auf Schuster zu setzen. "Wir haben einen guten OB, aber die Frage ist, wer die Wahl gewinnen kann", sagte der Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann am Montag. Der OB, schon seit der Landtagswahl gestärkt, habe jetzt auch Rückenwind durch das Mehrheitsvotum der Stuttgarter für S21. Kaufmann reklamiert dieses Ergebnis aber als "Bestätigung" für die ganze Stuttgarter CDU. Auch mögliche andere konservative OB-Bewerber hätten seit Sonntagabend "bessere Aussichten".

Der 9.Januar bleibt für Kaufmann aber der Stichtag für die CDU. Bis dahin müsse man mit Schuster über seine Vorstellungen reden, aber auch darüber, ob der Rückenwind für ihn reicht. Ob ein CDU-Kandidat von außerhalb nicht mehr Stimmen selbst aus dem Lager der S-21-Befürworter holen könnte. Und darüber, "wie viel Protest immer noch am Amtsinhaber festgemacht wird". Er sei jedenfalls zuversichtlich, dass man im Zweifel eine aussichtsreiche CDU-Persönlichkeit von außerhalb gewinnen könne, beteuerte Kaufmann.

Unterdessen gibt es Anzeichen, dass neben Schuster als Aushängeschild der S-21-Befürworter auch die Galionsfigur der Gegner ins Gespräch kommen könnte: Brigitte Dahlbender. Die Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz ist bereits gefragt worden. Von wem, sagt sie nicht.

Manches spricht dafür, dass diese Idee selbst die Grünen, die stärkste politische Kraft in Stuttgart erreicht hat, obwohl Dahlbender Mitglied der SPD ist. Mögliches Kalkül: dass man mit ihr bei der OB-Wahl viele Projektgegner gewinnen könnte - auch bei der SPD. Doch nachdem sich am Sonntag herausgestellt hat, dass die Projektgegner keine Mehrheit haben, dürfte der Reiz dieser Idee schwinden. Auch bei den Grünen.

In Stuttgart werde wohl schon jemand gebraucht, der die gespaltene Bevölkerung wieder zusammenführen könne, meint Dieter Salomon. Eine Persönlichkeit, die relativ unbelastet sei - was Salomon allerdings auch nicht so verstanden wissen will, dass es gegen Palmer gemünzt wäre. Immerhin habe der Tübinger Kollege am Sonntag doch staatstragend angekündigt, dass der politische Widerstand gegen S21 beendet sei.