Der Bauwunder-Spaziergang führt etwa zu den Eberhardhöfen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sybille Böpple führt in der Stuttgart-Nacht Interessierte zu gerade abgeschlossenen, derzeit laufenden oder geplanten Baustellen in Stuttgart. Den berüchtigten Schirm, um die Gruppe anzuführen, braucht diese Stadtführerin allerdings nicht.

Stuttgart - Der Mann starrte nur auf ihre Füße. Sybille Böpple, selbstständige Stadtführerin, war ins Maritim-Hotel gekommen, um eine Gruppe älterer Herrschaften zu einer Tour abzuholen. „Frau Sybille“, sagte besagter Mann nach einer Weile, „Ihre Schuhe möchte ich haben“. Böpple fragte etwas irritiert: „Was wollen Sie denn damit?“ Der Mann antwortete: „Damit kann man bestimmt ganz schnell laufen.“

Tatsächlich trägt Sybille Böpple Schuhgröße 44 oder gar 45 – da liegt der Gedanke nahe, dass es sich um Siebenmeilenstiefel handeln könnte, also Schuhe mit Zauberkraft, die dem Träger die Fähigkeit verleihen, in kurzer Zeit weite Entfernungen zurückzulegen.

Sybille Böpple ist seit gut 40 Jahren im Tourismus tätig

Doch nicht nur die großen Füße, sondern auch ihre Körpergröße sind vorteilhaft für Böpples Beruf: „Ich bin 1,80 Meter groß – und somit der Guide, der keinen Schirm und keinen Wimpel braucht“, sagt die 57-Jährige. Doch ihrer Größe allein will sie das nicht zuschreiben: „Es liegt auch daran, dass ich meine Teilnehmer fessle“, sagt sie und lacht. Freilich nur im übertragenen Sinne. Schließlich ist Böpple ein Profi: Sie ist seit mehr als 40 Jahren im Tourismus tätig. Nach einer klassischen Ausbildung studierte sie Betriebswirtschaft und entwickelte dann zusammen mit dem Omnibusverband Reisen.

1994 gründete sie Wein und Stein. „Die Idee, mich mit meinen Erfahrungen selbstständig zu machen, hat schon lange in mir geschwelt“, sagt Böpple. Seitdem schmeißt sie ihren „Ein-Frau-Betrieb“ mit großem Engagement. „Ich bin froh, alleine und somit flexibel zu sein“, sagt sie. Wenn sie – etwa für ihre kulinarischen Touren – Hilfe braucht, hat sie Kollegen, die sie für das Catering bucht. Zudem ist sie gut vernetzt: Ihre Kunden können über sie auf einen Pool von 50 Oldtimer-Bussen zurückgreifen. „Das ist sehr gefragt“, sagt sie.

Bei der Stuttgart-Nacht wird ein Ausschnitt aus der regulären Tour geboten

Doch Böpple ist nach wie vor auch viel auf ihren großen Füßen unterwegs, sie macht besonders die Bauwunder-Spaziergänge sehr gerne: „Ich komme aus einem Bauunternehmerhaushalt und bin mit der Baustelle aufgewachsen.“ Nun erläutert sie ihren Gästen, wie Stuttgart sich verändert. Bei der Stuttgart-Nacht zeigt sie in dreimal 30 Minuten einen Ausschnitt aus der regulären Tour, die zweieinhalb bis drei Stunden dauert. Böpple ist schon mehrfach bei der Stuttgart-Nacht dabei gewesen und war jedes Mal vom Andrang überwältigt: „Normalerweise nehme ich zehn bis 15 Teilnehmer mit auf eine Tour, bei der Stuttgart-Nacht sind es 60 bis 90.“

Start der Tour ist am 19. Oktober um 19, 20, 21 Uhr am Karlsplatz, Ecke Dorotheen-/Goerdelerstraße. Von dort aus geht es zum Dorotheen-Quartier, dann zum Areal Eichstraße beim Rathaus, das gerade in den letzten Zügen und laut Böpple sehr schön geworden ist. Danach werfen die Teilnehmer einen Blick auf die Eiermannfassade: Der Anbau an das Gebäude Galeria Kaufhof über der Steinstraße soll abgerissen werden. Endstation sind die Eberhardhöfe (das ehemalige Gebäude der Teppich-Galerie) an der Eberhardstraße, bei denen die Fassade ab- und nach der Sanierung wieder aufgetragen wurde.

Ist Stuttgart eine Baustellenstadt?

Stein auf Stein, Baustelle an Baustelle: Ist Stuttgart eine Baustellenstadt? „Ich würde das nicht so sehen“, sagt Böpple. Ihrer Meinung nach ist es notwendig, dass gebaut wird, „das sind Zukunftsprojekte“. In Stuttgart sei es nur so, dass einem die Baustellen durch die Topografie direkt ins Auge springen: „Wenn meine Gäste von oben draufschauen, denken sie oft, das sei alles S 21“, sagt Böpple. Ihre Aufgabe sieht sie darin zu vermitteln, was gebaut und wie es später genutzt wird.

Generell ist Böpple positiv dem gegenüber gestimmt, dass „Stuttgart bewegt wird“. Es gibt aber Planungen, mit denen sie nicht einverstanden ist, etwa bezüglich der Oper. „Wenn da eine Erweiterung hinkäme, wäre ich nicht glücklich“. Hätte sie einen Schirm, könnte sie mit ihm ein Ausrufezeichen in die Luft zeichnen.