Der Kanadier Michel Gagner (links) assistiert dem leitenden Oberarzt des Cannstatter Klinikums, Matthias Raggi (2. v. links) bei einer Magen-OP. Foto: Krankenhaus Bad Cannstatt

Operationen gegen Übergewicht – das kann eine Form der Behandlung der krankhaften Fettleibigkeit sein. In Stuttgart wurde ein neues Verfahren ausprobiert, um den Eingriff schonender zu gestalten. Doch die Krankenkassen zahlen solche OPs nur ungern.

Stuttgart - Der voluminöse Bauch hebt und senkt sich im Takt der Beatmungsmaschine. 127 Kilo Fleisch, vom Desinfektionsmittel bronzefarben glänzend, liegen vor den Chirurgen des städtischen Krankenhauses Bad Cannstatt auf dem Operationstisch. Es gehört zu einer Patientin: 38 Jahre, Diagnose Adipositas, im Volksmund auch Fettsucht genannt. Knapp eine Stunde später sollten die Voraussetzungen geschaffen sein, dass die Patientin ihr Gewicht reduziert – indem sie nicht mehr so viel essen kann. Sie lässt sich den Magen verkleinern.

Der Eingriff ist auch für das Ärzteteam in Cannstatt etwas Besonderes: Es wird ein neues Verfahren angewendet. Statt der üblichen sechs Schnitte in der Bauchdecke erfolgt die Verkleinerung nur über einen einzigen Schnitt. Das Verfahren habe mehrere Vorteile, so die Ärzte: Die OP-Narbe versteckt sich im Bauchnabel, was nicht nur gut aussieht, sondern auch medizinisch sinnvoll ist. Der Heilungsprozess verläuft schneller, die Patienten haben weniger Schmerzen, und das Risiko von Narbenbrüchen sinkt.

Eine amerikanische Firma hat dafür ein Gerät entwickelt, das in der Stuttgarter Klinik deutschlandweit erstmals eingesetzt wird: Der Spider – zu Deutsch Spinne – verfügt über eine Kamera und drei Greifzangen. Für die Premiere mit diesem High-Tech-Gerät wurde ein kanadischer Experte eingeflogen, Michel Gagner, der bei der OP dem leitenden Oberarzt des Cannstatter Klinikums, Matthias Raggi, assistieren wird.

Mit geübter Hand stechen die Chirurgen mit dem Greifer in den Bauch der Patientin. Die ersten Bilder vom Inneren der Bauchhöhle werden auf Flachbildschirme über dem OP-Tisch übertragen. Es erscheint eine gelbe Speckschicht, die Milz und schließlich auch der Magen der Patientin. Gut geschützt liegt das Organ in einem netzartigen Gewebe, von dem es erst befreit werden muss.

Rund 200 Fettsüchtige werden jedes Jahr operiert

Bei einem Schlauchmagen wird der Magen auf etwa ein Zehntel des ursprünglichen Volumens verkleinert. In den ersten Wochen nach der OP wird die Patientin schon nach wenigen Löffeln satt sein. Innerhalb gut eines Jahres kann sie bis zu 80 Prozent ihres Übergewichts verlieren. „Sie wäre dann nicht gertenschlank, aber auch nicht mehr übermäßig dick“, sagt Matthias Raggi.

In dem Adipositas-Zentrum, das der Klinik angegliedert ist, werden seit Jahren Menschen betreut, die unter ihrer Fettsucht leiden. Rund 200 Fettsüchtige werden hier jedes Jahr operiert. „Eine Operation bei extremer Adipositas ist derzeit die einzige effektive Therapie, die den Betroffenen eine langfristige Gewichtsreduktion ermöglicht“, sagt Michael Müller, Leiter der Chirurgischen Klinik in Bad Cannstatt.

Die meisten Patienten haben zuvor jahrelang gegen ihr Gewicht angekämpft – nahezu erfolglos. Bei einem großen Teil, so heißt es bei der Adipositas-Gesellschaft, sei mit herkömmlichen Methoden lediglich eine Gewichtsreduktion von bis zu zehn Prozent zu erzielen. Im Fall der Stuttgarter Patientin mit ihren 127 Kilo wären das gerade mal 13 Kilo. Zu wenig für die 38-Jährige. Vier Wochen war sie auf Kur und habe vier Pfund abgenommen, erzählt sie noch am Morgen vor der OP. „Das war so deprimierend.“

Schnitte erfolgen per Ultraschall, Blut fließt nicht

Bisher ist die chirurgische Abnehmhilfe nur Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 40 angeraten. Zum Vergleich: Normalgewichtige haben einen BMI von bis zu 25. Bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren – wie erhöhtem Blutdruck oder Problemen mit den Nieren oder den Herzkranzgefäßen sowie einem Typ-2-Diabetes – ist auch eine OP bei einem BMI von 35 möglich. Diese Nebenwirkungen des Übergewichts können ebenfalls mit Hilfe einer OP verringert werden, bestätigt Michael Müller. Das haben schwedische Langzeitstudien wie die SOS-Studie mit 4000 übergewichtigen Diabetikern gezeigt.

Die High-Tech-Spinne setzt ihren Weg im Bauch der Patientin fort. Die Schnitte erfolgen per Ultraschall, so fließt kein Blut. In ihrem Magen steckt ein Schlauch. An ihm entlang schneiden die Chirurgen Raggi und Gagner ein schnitzelgroßes Stück ab. Gleichzeitig wird die Schnittstelle zugetackert. Der Rest wird über das Loch im Nabel herausgezogen, Michel Gagner legt den Greifer weg. Der Eingriff ist gut verlaufen.

In anderen Ländern ist die Adipositas-Chirurgie längst Standard: In Frankreich, in Österreich und in der Schweiz sind es pro Jahr und 100 000 Einwohner 33 bis 42 OPs. Selbst in so kleinen Ländern wie Belgien wurde 2010 etwa 13-mal häufiger bei einem Adipositas-Patienten operiert als in Deutschland mit knapp zwölf Eingriffen pro 100 000 Einwohner. Und das, obwohl hierzulande die Zahl der Adipösen stetig zunimmt: Fast jeder vierte Bundesbürger gilt inzwischen als stark übergewichtig.

„Solche Eingriffe sind keine Lifestyle-OP“

Für Oberarzt Matthias Raggi liegt der zögerliche Griff zum Skalpell vor allem an der Haltung der Krankenkassen. Die lassen sich von den Erfahrungen im Ausland wenig beeindrucken und zahlen solche Eingriffe ungern: Es fehle ein aussagekräftiger wissenschaftlicher Nachweis zum medizinischen und wirtschaftlichen Vorteil dieser Verfahren, heißt es beim GKV-Spitzenverband. „Es geht doch aber um die Frage, was die Gesellschaft mehr kostet: die Behandlung von Fettleibigkeit und ihren Begleiterkrankungen oder eine OP, die je nach Art des Eingriffs mit 6000 bis 13 000 Euro beziffert wird“, so Raggi. Hinzu kommt der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Fettleibigkeit: Experten fordern längst, dass Adipositas als Krankheit bezeichnet werden müsse. So wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon tut.

Dennoch bewerten die Chirurgen am Stuttgarter Adipositas-Zentrum ihr Tun zurückhaltend: „Solche Eingriffe sind keine Lifestyle-OP“, sagt Michael Müller. Nach einer Magenverkleinerung braucht es eine langjährige ernährungsmedizinische und psychologische Betreuung. Ein solcher Eingriff komme daher nur für Menschen infrage, die in der Lage seien, disziplinierter zu leben.

Die Patientin wird in den Aufwachraum geschoben. Derweil erklärt Matthias Raggi, dass die Kosten für das moderne Verfahren höher sind als die Magenoperationspauschale, die das Krankenhaus von der Krankenkasse erhält. Es gebe aber Überlegungen, dass die Zusatzkosten auf die Patienten übertragen werden – sofern sie mit dem Spider operiert werden wollen. Der Bedarf ist offensichtlich: Im Nebenraum wird die nächste Patientin für die Operation vorbereitet: 26 Jahre alt, 124 Kilo Gewicht und ein BMI von 48. Auch sie hat sich für die Skalpell-Diät entschieden – mit dem Spider.