Das Kunstgebäude am Stuttgarter Schlossplatz Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Kunstgebäude am Schlossplatz ist eines der zentralen Gebäude der Landeshauptstadt. Noch ist unklar, wie es nach dem Auszug des Landtags genutzt wird. Eine Momentaufnahme.

Stuttgart - Das Herz des Kulturquartiers Stuttgart bildet das Kunstgebäude am Schlossplatz in Stuttgart bildet in seiner geografischen Gelenkfunktion zwischen Staatstheater-Areal, Staatsgalerie, Institut für Auslandsbeziehungen, Landesmuseum Württemberg, Kunstmuseum Stuttgart und den gern als Festivalbühne genutzten Innenstadtkinos in der Bolzstraße .

Werden Vierecksaal und Glastrakt durch den Württembergischen Kunstverein Stuttgart als Bühne internationaler Gegenwartskunst genutzt, dienten bis vor wenigen Wochen der zentrale Kuppelsaal (als Plenarsaal) und die umliegenden Räume (für Büronutzungen und Dienstleistungen) als Ausweichquartier für den Stuttgarter Landtag. Inzwischen haben die Parlamentarier das sanierte Landtagsgebäude wieder bezogen.

Eine Chance, dem Kunstgebäude in jeder Hinsicht neues Gewicht zu geben? Wiederholt gab es diese Möglichkeit, zuletzt 2005. „Immer dann“, schrieb unsere Zeitung seinerzeit, „entfaltete der Motor Kunstverein/Kunstgebäude besondere Kraft, wenn er projektbezogen gezielt Allianzen einging, immer wieder etwa mit der Akademie Schloss Solitude und der Stadtbibliothek. Und welche Leichtigkeit solche Handlungsfreiheit mit sich bringt, konnten in den vergangenen „Theater der Welt“-Wochen die Besucher der Hafenbar spüren. Offene Türen sucht die Stadt, offene Türen bot der Kunstverein – und markierte so den Anfang eines Weges, an dessen Ende nach dem Modell des Pariser Gegenwartskunstforums Palais de Tokyo eine bis in die späten Abendstunden geöffnete Ausstellungs-, Diskussions- und Filmkunstbühne stehen könnte.“

„Das Kunstgebäude besitzt ungenutztes Potenzial“

Im Juli 2014 skizzierte Jürgen Walter (Grüne) als Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unserer Zeitung seine Hoffnungen für das Kunstgebäude nach 2016. „Ich denke an diesem exponierten Ort an eine multifunktionale Nutzung“, sagte er, „in der wichtige Kunst- und Kultureinrichtungen netzwerkartig eingebunden sind.“ Und weiter: „Das Kunstgebäude besitzt durch seine exponierte Lage am zentralsten Ort in Stuttgart das momentan ungenutzte Potenzial, ein Haus für spartenübergreifende Gegenwartskunst von bildender Kunst über Tanz, Theater und Film bis hin zur Literatur zu werden.“

Es folgten konkrete Gespräche mit der Kunstakademie Stuttgart, der Akademie Schloss Solitude, dem Institut für Auslandsbeziehungen, dem Schauspiel Stuttgart und dem Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Galt seitens des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst lange Zeit das Prinzip der Zurückhaltung, ging die grün-rote Landesregierung 2015 doch noch in die Offensive. Das von Nils Schmid (SPD) geführte Finanz- und Wirtschaftsministerium, zuständig für die Liegenschaften des Landes, zeigte Interesse. Minister Schmid und Staatssekretär Walter gingen in die Öffentlichkeit, präsentieren einen Fahrplan, der vor allem eines bietet: Rückenwind für die engagierten Kulturschaffenden.

Wie sieht es nun aktuell aus? Die Politik zieht wieder aus dem Kunstgebäude aus. Aber zieht die Kultur in die zum Schlossplatz hin orientierten Altbaubereiche auch (wieder) ein? Dazu beriet sich die neue Landesregierung in der Koalition aus Grünen und CDU bisher nur hinter verschlossenen Türen.

Kulturschaffende haben ein Konzept vorgelegt

Auf Nachfrage sagt Petra Olschowski (parteilos), neue Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK), jetzt: „Das Kunstgebäude soll auch weiterhin der Kunst zur Verfügung stehen. Daher liegt die Planung der zukünftigen Nutzung zunächst einmal beim MWK.“ Und weiter: „Zur Findung einer zeitgemäßen und für das Kulturleben der Stadt interessanten Bespielung des Kunstgebäudes nach Auszug des Landtags fand in den vergangenen zwei Jahren ein vom MWK initiierter, mehrstufiger Beteiligungsprozess mit vielen Kulturschaffenden statt. Daraus hat sich eine Kerngruppe von Kulturschaffenden gebildet – bestehend aus den Direktoren des Württembergischen Kunstvereins, des Schauspiels Stuttgart und des Theaters Rampes plus weiterer Partner wie Institut für Auslandsbeziehungen, Akademie Schloss Solitude und Akademie der Bildenden Künste Stuttgart- und einen Konzeptvorschlag für eine interdisziplinäre künstlerische Begegnungsformen erarbeitet. Dies ist die Vorlage, von der ausgehend wir im Moment weitere Gespräche führen.“

Voraussetzung für eine solche Nutzung ist zunächst einmal der Rückbau im Kunstgebäude. Dieser erfolgt durch die staatliche Bauverwaltung, zuständig ist das Finanzministerium. Und wie könnte es dann weitergehen? „Nach Auszug des Landtags und nach dem anschließenden Rückbau der Einbauten, also der Wiederherstellung der musealen Nutzung, und einem möglichen Beginn des Umbaus“, sagt Olschowski, „wird es eine Zwischenphase geben.“ Und weiter: „In dieser Interimsphase darf das Kunstgebäude aber nicht leer stehen, sondern soll kulturell genutzt und damit wieder ein öffentlicher Ort werden. Im Jahr 2017 können für das Land wichtige museale Projekte, wie etwa eine Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart anlässlich des Reformationsjubiläums im Kunstgebäude stattfinden. Wichtig ist uns eine zeitgenössische Ausrichtung der Interimsnutzung.“

Wie das zusammenpasst? „Auch das Thema Reformation“, betont Olschowski, die zuvor die Kunstakademie Stuttgart lenkte, „kann aus zeitgenössischer Perspektive beleuchtet werden.“

„Von März 2017 bis Ende Dezember 2018“ soll die Interimszeit im Kunstgebäude dauern. Muss aber nicht, wer in eine Neunutzung einsteigt, bereits das Ziel und damit auch die spätere Organisations- und Betriebsform kennen? „Wir nutzen die Zeit der Interimsbespielung“, sagt Olschowski, „um eine optimale Organisationsform für einen möglichen Dauerbetrieb zu finden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist darüber noch keine Entscheidung getroffen worden.“

Der Finanzbedarf ist noch unklar

Die inhaltliche Ausrichtung aber gibt die Staatssekretärin vor: „Ziel der künftigen Nutzung ist, einen öffentlichen Hotspot für spartenübergreifende Gegenwartskunst im Zentrum Stuttgarts zu etablieren.“ Hierfür aber müsste das Kunstgebäude erst um- und ausgebaut werden. „Als reines Ausstellungsgebäude“, bestätigt Olschowski, „ist das Kunstgebäude nicht als Versammlungsstätte ertüchtigt.“ Und – ja, „um ein Neben- und Miteinander verschiedener Kunstformen zu ermöglichen, werden Gebäudeanpassungen nötig sein“. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie erarbeitet aktuell das Amt für Vermögen und Bau Stuttgart. „Erst auf dieser Grundlage“, betont die Staatssekretärin, „können Aussagen über Kosten und Finanzierung sowie zur künftigen Organisation gemacht werden.“

Eine Zahl aber ist bereits genannt. Bis zu 1,5 Millionen Euro jährliche Betriebskosten hielten bei ihren Präsentationen im November 2015 der damalige Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid und der damalige MWK-Staatssekretär Jürgen Walter für möglich. Die Koalition aus Grünen und CDU gibt sich vorsichtiger: „Der finanzielle Aufwand für den künftigen, laufenden Betrieb“, sagt MWK-Staatssekretärin Petra Olschowski, „ist noch nicht absehbar, da abhängig von der konkreten künstlerischen Nutzung.“ Und sie ergänzt: „Die Interimsbespielung wird uns wichtige Anhaltspunkte für die konkrete Bezifferung des finanziellen Bedarfs geben.“

Wichtigster Akteur auf dem Weg zu einer Neukonzeption der kulturellen Nutzung des Kunstgebäudes sind die Direktoren des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart, Iris Dressler und Hans D. Christ. Wie auch Armin Petras, Intendant des Schauspiels Stuttgart, und die weiteren Beteiligten auf Kulturseite überlassen Dressler und Christ die Wortführung aktuell lieber die Politik. „Wir haben unsere Vorarbeit gemacht“, heißt es übereinstimmend.

Der Württembergische Kunstverein bleibt ein wichtiger Partner

Die Politik also ist am Zug. Geklärt werden muss noch vieles, unter anderem auch die Frage, unter welcher Flagge die Projekte und Veranstaltungen im Kunstgebäude stehen sollen. Müsste nicht das Ziel sein, das Kunstgebäude zu einer Eigenmarke zu machen? Und wie wäre dies dann mit den berechtigten Interessen des Württembergischen Kunstvereins (WKV) vereinbar? „Der Württembergische Kunstverein Stuttgart“, sagt Petra Olschowski, „hat einen Mietvertrag mit dem Land für die Nutzung des hinteren Gebäudeteils bis Ende 2021 abgeschlossen, um sich auch programmatisch von der Bespieglung des historischen, vorderen Teils abzugrenzen.“ Und sie betont: „Seit dem Beteiligungsprozess ist der WKV einer von mehreren, wichtigen Partnern für die konzeptuelle Ausrichtung des Kunstgebäudes.“

Damit landet man wieder bei der gemeinsamen Pressekonferenz des damaligen Finanz- und Wirtschaftsministers Nils Schmid und des damaligen MWK-Staatssekretärs Jürgen Walter. Petra Olschowski erinnert daran, dass seinerzeit ein Konzeptvorschlag übergeben worden sei. Diesen habe der Kunstverein wesentlich mit ausgearbeitet. Und die Staatssekretärin benennt auch die Herausforderung: „Für den Konzeptvorschlag muss erst noch eine Mehrheit im Landtag gefunden werden.“

Kommentar „Mut zur Kunst“

Stuttgart - Seit mehr als einem Jahrzehnt wird um das Kunstgebäude in Stuttgart gerungen. Seit dem Auszug der Städtischen Galerie (und des Neubaus des Kunstmuseums Stuttgart) fehlt es an einer konzeptionell begründeten Identität.

Dabei ist die Rolle doch offensichtlich – ein weit offenes Haus der Kunst, ein Forum künstlerischer Spiegelung gesellschaftlicher Debatten als Herz, als Impuls- und Taktgeber des Kulturquartiers Stuttgart. Eine große Aufgabe, die viel voraussetzt – von der überzeugenden Grundkonzeption über die geeignete Betriebsform bis hin zur notwendigen finanziellen Ausstattung.

Jeder Schritt auf diesem Weg – und damit hinein in eine Debatte über neue Gelder aus dem und bestenfalls für den Kulturhaushalt scheint schwierig. Aber jeder Schritt wird sich lohnen. Weil jeder Schritt inhaltliche Fragen berührt, weil das Nachdenken über das Kunstgebäude zugleich ein Nachdenken über das Zentrum der Landeshauptstadt und die Bedeutung des ernstlich Gegenwärtigen für die Stadtgesellschaft provoziert. Schrecken sollte dies niemand. Begeistern aber sehr wohl.