Der Ausflug muss nicht immer in die Ferne führen: Tretbootfahren am Ebnisee im Schwäbischen Wald. Foto: dpa/Jan-Philipp Strobel

Vor Corona wollten die Touristiker der Städte und Regionen vor allem Menschen aus fernen Ländern anlocken. Jetzt müssen wir uns erst mal um die Leute in der Region kümmern, sagt Stuttgart-Marketing-Chef Armin Dellnitz.

Stuttgart - Man könnte sagen, Armin Dellnitz urlaubt mit gutem Beispiel voran. Eigentlich wollte der Chef von Stuttgart-Marketing die Pfingstferien mit seiner Familie in Italien verbringen. „Der Urlaub war schon gebucht, aber das funktioniert natürlich nicht. Also werden wir viel in der Region unterwegs sein. Unsere Lust ist groß, was zu unternehmen.“ Zur Not kann man auch dort bei einem Italiener essen, sagt er – und schmunzelt.

„So was habe ich noch nie erlebt“

Hinter Dellnitz und seinen 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern liegen bewegte Wochen. So ist das nun mal, wenn man von Berufs wegen Menschen aus Deutschland, Europa und dem Rest der Welt in die Stadt und die Region locken will – und plötzlich nichts mehr geht. Dellnitz spricht in dem Zusammenhang gern von „Phase null“ – und meint damit die Hochzeit der Corona-Beschränkungen. Das sei noch gar nicht so lange her, sagt er, und doch komme es ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. „So was habe ich in meinem Leben noch nie erlebt.“

Stadtführer mit Kamera losgeschickt

Doch wenn nichts mehr geht, ist das noch lang kein Grund für Touristiker, die Hände in den Schoß zu legen. Bei der Stuttgart-Marketing GmbH hat man die Zeit genutzt, um Stadtführer, ausgestattet mit einer 360-Grad-Kamera, allein auf Tour zu schicken. „Das war für unsere Gästeführer im erstem Moment ungewohnt“, erzählt Dellnitz. „Anstatt vor Menschen zu stehen, mussten sie in eine Kamera sprechen.“ Aber die Ergebnisse können sich sehen lassen und erfreuen sich im Netz großer Beliebtheit.

An die 10 000 bis 15 000 Klicks konnten einzelne Videos bisher verbuchen. Die Zehn-Minuten-Filmchen, bei denen der Zuschauer seine Perspektive selbst wählen kann, sollen die anderthalb- bis zweistündigen realen Stadttouren nicht ersetzen, sondern als Appetitanreger wirken.

Und worauf will der oberste Touristiker der Region Stuttgart Appetit machen? Und vor allem, bei wem? „In diesen Wochen haben wir den lokalen Markt im Blick“, sagt Dellnitz. Soll heißen: Man kümmert sich erst mal um die Menschen in der Region. Bisher habe man den Leuten erklärt: Bleibt daheim. Jetzt gehe es darum, ihnen zu sagen: Geht raus. „Weil ihr es euch verdient habt. Und wir geben euch die Tipps, wo ihr am besten hingehen könnt.“

Weniger die Hotspots im Blick

Corona-bedingt habe man dabei weniger die sogenannten Hotspots im Blick, das passe nicht zum Lebensgefühl der Zeit. „Wir müssen vorsichtig sein in der Ansprache“, sagt Dellnitz. „Wir können nicht wie früher mit quirligem City-Leben werben. Das wäre verkehrt. Danach ist den Leuten nicht.“ Also gehe es in der ersten Phase nach Stunde null darum, auf kleine Ausflugsziele aufmerksam zu machen, den Picknickplatz am See, die Mountainbike-Tour auf der Ostalb, den Aussichtsturm im Wald. „Niederschwellige Angebote“ heißt das in der Sprache der Reiseanimateure. „Wenn der Naherholungstourismus noch nicht richtig funktioniert“, sagt Dellnitz, „werden wir den Übernachtungsgast auch nur schwer erreichen können.“

Leicht ist das Geschäft nicht

Dass derzeit reichlich Angebote entstünden, aber die Nachfrage nicht Schritt halte, sei normal in so einer Situation, meint Geschäftsführer Dellnitz. „Aber das zu ändern ist unser Job. Wir müssen schauen, dass der Naherholungsbereich wieder funktioniert.“ Dazu gehöre, den Bewohnerinnen und Bewohnern der Region möglichst viele Ausflugsziele anzubieten, bedarfsgerecht, übersichtlich und informativ zusammengestellt. „Wir möchten es allen so einfach wie möglich machen, damit nicht jeder erst sämtliche Internetseiten einzelner Anbieter aufsuchen muss.“

Leicht ist das Touristikgeschäft in diesen Tagen nicht. Manche Leute, meint Dellnitz, hätten den Kopf noch nicht frei, um sich kulturellen Dinge zuzuwenden. Andere würden sagen: „Ich kann mir das nicht anschauen, solang ich eine Maske tragen muss.“ Vor diesem Hintergrund sei es nicht verwunderlich, dass etwa die Auslastung von Museen derzeit deutlich geringer sei als im Vorjahr. „Auch können wir in diesem Jahr nicht mit den großen Motoren arbeiten, die seither zur Verfügung standen.“ Großveranstaltungen wie die Jazz Open, das Weindorf und Volksfest fallen flach.

Licht am Horizont

Dellnitz wäre kein guter Touristikmanager, würde er am Horizont nicht auch Licht sehen. Er ist sich sicher, dass im Sommer der Deutschlandtourismus boomen wird. Also müsse man in einer Region, die bei vielen Übernachtungsgästen für Geschäftsreisen, Industrie und Messen stünde, den Freizeittourismus in den Vordergrund rücken. Hierzu startet die Stuttgart-Marketing GmbH im Juli mit einer nationalen Kampagne. Der klassische Business-Reiseverkehr werde frühestens im Herbst wieder anlaufen. Aber dann wohl auch noch nicht mit der gewohnten Kraft. Im vergangenen Jahr hatte man mit fast 2,2 Millionen Gästen in Stuttgart und mehr als neun Millionen Übernachtungen in der Region ein Rekordergebnis eingefahren. Davon kann man 2020 nur träumen. Dellnitz: „Wir gehen davon aus, dass der Markt für Kongresse und Meetings mindestens die nächsten zwei Jahre nicht der gleiche sein wird.“

Die meisten Änderungen wären eh gekommen

Was, wenn Unternehmen in Zeiten von Corona festgestellt haben, dass man Meetings auch über digitale Kanäle abwickeln kann und die eine oder andere Dienstreise verzichtbar ist? „Das muss kein Makel sein“, meint Dellnitz. Entscheidend für die Hotelbranche sei nicht die Zahl der Gäste, sondern die Zahl der Übernachtungen. Der Geschäftsreisende würde künftig wohl ein anderes Reiseverhalten zeigen. Mit Begriffen wie bedarfsgerechter, bewusster, vernetzter und auch erlebnisorientierter lasse es sich umschreiben. „Gerade der letzte Punkt bietet Chancen, dass wir uns mit den Vorzügen einer starken Freizeitdestination noch ganzheitlicher anbieten. Dann bleibt der Gast auch mal eine Nacht länger.“

Die meisten Änderungen, schätzt Armin Dellnitz, wären auch unabhängig von Corona gekommen, nur eben nicht so wahnsinnig schnell. Das erfordere zügiges und gut durchdachtes Handeln auf Angebotsseite.