Französische Kriegsgefangenen beim Bau des Wagenburgtunnels, der als Bunker diente. Foto: Stadtarchiv Stuttgart

In unserer Weltkriegsserie lassen wir erneut Leserinnen und Lesern mit ihren Eindrücken zu Wort kommen. Darunter sind etliche Zeitzeugen.

Kriegserlebnisse hallen oft lebenslang nach – davon zeugen die vielfach seitenlangen Zuschriften und Schilderungen von Leserinnen und Lesern, die unser Projekt an Ereignisse ihrer Kindheit erinnert. Wir veröffentlichen einige Auszüge.

 

„Als Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums wurde ich nach den Sommerferien 1943 mit der Klasse per KLV (Kinderlandverschickung) nach Biberach gebracht, wo ich mit meinem 10. Geburtstag ,Pimpf‘ beim Jungvolk wurde. Als Ende des Jahres 1944 Stuttgart einen schrecklichen Fliegerangriff erlebte, wurden wir Jungen von unserem Rektor freigestellt: „Wer von euch heimfahren will, kann den nächsten Zug über Ulm nach Stuttgart nehmen.“ Zusammen mit einem Klassenkameraden aus Zuffenhausen machten wir uns auf den Weg – vorschriftsmäßig in Pimpfenuniform. In Cannstatt war gerade Fliegerangriff. Der Zug stoppte, alle mussten in den Bunker unter dem Bahnhof flüchten. Die Einschläge erschütterten das Bahnhofsgebäude, der Mörtel rieselte auf die Menschen, die zusammengepfercht und ängstlich im Bunker saßen. Alle wollten zum Ausgang, das Gedränge war beängstigend. Als wir uns später im Freien wiederfanden, gingen wir entlang der Eisenbahnschienen nach Stuttgart. Die Stadt stand in Flammen, der Himmel über uns war feuerrot.

Zu Hause in der Otto-Reninger-Straße am Killesberg angekommen, fand ich alles verschlossen vor. Später kam meine Mutter. Das ganze Häuserviertel war abgesperrt wegen der Zeitzünderbomben, die im Umfeld niedergegangen waren. Und als ich dann mit meiner Mutter vor unserem Haus stand – mein Vater war im Februar 1942 in Russland gefallen – explodierte hinter dem gegenüberliegenden Haus eine solche Bombe. Ich sehe noch einen riesigen Brocken über das Dach fliegen . . .

Walter Greiß, Worms

„Es ist erstaunlich, dass ich mich nach 80 Jahren immer wieder an Situationen erinnere, die wir damals als Kleinkinder erlebten. Das hat sich regelrecht in das Gedächtnis eingebrannt. Ich habe etliche Luftangriffe auf Stuttgart erlebt und weiß heute noch, wie es sich anfühlte, wenn man aus dem Keller wieder an die frische Luft kam. Bei einer Besichtigung des Kellers 2005 entdeckte ich die angebrannte Kerze zur Sauerstoffkontrolle auf dem Türrahmen, die immer noch dort stand.

Ich kann mich auch noch ans Abendessen in jener Zeit erinnern, das aus Schwarzbrot und braunem Zucker bestand. Die Lage verbesserte sich selbst nach der Kapitulation nicht besonders. Zum Glück hatten wir auch während der Kriegsjahre eine gute Beziehung zu einem Landwirt in Echterdingen, der uns immer wieder mit Kraut und Kartoffeln aushalf.

Peter Rieger, Winnenden

„Zukunft braucht Erinnerung.“ So hat der kurz nach Kriegsende geborene Hans Martin Wörner aus Stuttgart-Dürrlewang seine Erinnerungen an die Nachkriegszeit betitelt, die er für seine Kinder und Kindeskinder aufgeschrieben hat. Darin finden sich folgende Sätze: „In meinem 80. Lebensjahr erlebe ich im Jahre 2025 zum ersten Mal, dass ich nicht als ,Friedenskind‘ im unverdorbenen Sinn existiere. Vielmehr liegt in meinem Gedächtnis die Lebensgeschichte vergangener Generationen. Das hatte Nachwirkungen in meinem Leben. So wirkt bis heute in den Seelen der Menschen weiter, was unsere Eltern und Großeltern in den Kriegen des 20. Jahrhunderts erlitten und geleistet haben . . . Die Folgen der Kriege begleiten mich mehr oder weniger spektakulär das ganze Leben.“

„Meine Großeltern hatten damals die vegetarische Gaststätte ,Excelsior‘ in der Königstraße 43 B. Die Bedienungen hatten kleine Scheren an einer Schnur am Gürtel hängen, um die Lebensmittelmarken abzuschneiden. Die klitzekleinen Märkchen mussten sortiert und auf Bogen aufgeklebt werden.“

Ursula Grotz, Stuttgart

Ihre Berichte haben mich daran erinnert, dass ich ein kleines Etui aus Leder aufbewahrt habe, einfach genäht. Es enthält Lebensmittelmarken von 1949. Margarine wurde in Portionen zu 5 gr zugeteilt, Fleisch zu 25 gr. Eine Reisebrotmarke zum Bezug von 50 Gramm Gebäck war mit dem Schriftzug „Deutsches Reich“ versehen. Am 1. Mai 1950 wurde die Rationierung aufhoben; von da an wurden die Marken nicht mehr benötigt.

Hans Dieter Kiener, Sindelfingen

„Ich kannte das Gefangenlager Gaisburg sehr gut. Damals war ich elf Jahre alt, und mein Vater war dort Wachmann. Wir wohnten im Stuttgarter Westen, und ich besuchte ihn wann immer möglich bei der Arbeit. Ich war auch am Tage nach dem Bombenangriff vom April 1943 zusammen mit meiner Mutter dort. Man erzählte sich, dass es 1000 Tote gegeben hätte (bei dem Angriff starben 431 Gefangene, d. Red.). Die noch wenigen lebenden Wachleute hatten sich nach dem Angriff in dem voll besetzten Schutzgraben vorgearbeitet, bis sie zu der Stelle kamen, wo die Toten lagen, die durch Rauchvergiftung umgekommen waren . . . Wir trafen unseren Vater an, wie er dabei war, die Identität von toten russischen Kriegsgefangenen festzustellen. Und ich weiß noch, wie er sich schon wegen der kyrillischen Schrift in den Akten nicht leicht zu orientieren wusste. Nach Kriegsende wurde mein Vater in Darnieulles bei Épinal in den Vogesen als Kriegsgefangener von einem Franzosen wiedererkannt, der früher im Lager Gaisburg war. Dieser machte eine Eingabe an das französische Kriegsministerium, und mein Vater wurde vorzeitig entlassen.“

Kurt Reim, Schlaitdorf

Ihren Artikel „Als Stuttgarts Glocken aufhörten zu läuten“ habe ich mit Interesse gelesen. Als Zeitzeuge fielen mir plötzlich wieder viele Erlebnisse rund um den Wiederaufbau der Stiftskirche ein. Besonders erinnere ich mich an die Rückkehr der Guldenglocke, die zusammen mit den anderen Glocken im Krieg abgenommen worden war. Mein Vater, später Baudirektor der Württembergischen Landeskirche, war damals bauleitender Architekt im Büro Seyter, und wenn ich zu Hause nicht gut tat, nahm mich mein Vater mit auf die Stiftskirchen-Baustelle. Für mich, Jahrgang 1944, war das ein Eldorado und keine erzieherische Maßnahme.

Hans Ehrlich, Stuttgart-Heumaden

Mit Ihrer Serie „Stuttgart im Zeiten Weltkrieg“ erinnern Sie an das unsägliche Leid, das der Krieg über Stuttgart und das Land gebracht hat. Wenn man sich darauf einlässt, erfasst einen, auch als Spätgeborener, das Entsetzen darüber, was die Hitler-Diktatur für Unheil über Deutschland und die Welt gebracht hat. Anscheinend reicht das noch nicht, um in der Politik die Einsicht zu verbreiten, dass Krieg und Konfrontation ein Irrweg sind. Stattdessen wird von Kriegstüchtigkeit geredet. Wir brauchen verantwortungsbewusste Menschen in Politik und Wirtschaft, die den Mut haben, Wege zu suchen, die ein Miteinander ermöglichen.

Werner Schubert, Winterbach

Wo Sie die Video sehen können

Gemeinschaftsprojekt
 Für unsere Geschichtsserie zeigen wir zusammen mit dem Stadtarchiv Filme aus der „Kriegsfilmchronik“. Abonnenten der gedruckten Zeitung finden die Texte und das zugehörige Video im E-Paper (Freischalten: www.stuttgarter-nachrichten.de/premiumabo). Die Beiträge stehen auch im Online-Dossier: www.stuttgarter-nachrichten.de/stuttgart-im-krieg