Das Wasenstadion steht in hellen Flammen. Foto: Stadtarchiv

In einem neuen Buch sind viele Geschichten und Ereignisse in Stuttgart vom Anfang des 20. Jahrhunderts zu entdecken.

Stuttgart - Gestern früh zwischen ½ 6 und ¾ 6 schlugen in der großen gedeckten Mitteltribüne des Stadions mächtige Rauchsäulen empor. Obwohl die Berufsfeuerwehr (...) sofort an Ort und Stelle war (...), konnte von der (...) Mitteltribüne nichts mehr gerettet werden.“ So eine Nachricht wäre heute für den VfB und seine Fans eine Katastrophe – aber auch vor mehr als 100 Jahren bedeutete der Großbrand für die Stadt einen herben Verlust. Was damals geschah, darüber berichtete das „Schwäbische Bilderblatt“ in Wort und Bild und ist jetzt in dem neu erschienenen Buch „Stuttgarter Alltagsleben im frühen 20. Jahrhundert“ von Ulrich Gohl nachzulesen.

Die Stadtverwaltung hatte das Sportstadion aus Holz damals anlässlich einer Gesundheitsausstellung für 40 000 Mark auf dem Wasen errichten lassen. „Das Holzmaterial wurde der Stadt nur leihweise für den Bau zur Verfügung gestellt“, wurde am 12. August 1914 berichtet. Zum Zeitpunkt des Brandes war die Mitteltribüne „mit Strohvorräten vollgestopft“, außerdem waren im Stadion Saisonarbeiter aus Italien untergebracht. Als Brandursache wurde Fahrlässigkeit vermutet – und die Stadtverwaltung sah sich genötigt, die Arbeiter vor wilden Anschuldigungen zu schützen: „Die vielen Tausenden von italienischen Staatsangehörigen, die über eine Woche lang in Stuttgart vorläufig Unterkunft fanden, waren harmlose, zutunliche Menschen, dankbar für alle Fürsorge, die ihnen während der ganzen Zeit erwiesen wurden.“

Illustrierte als neues Medium

Das ist eine der Geschichten, die auf den 128 Seiten des gebundenen Buches zu entdecken sind. Sie sind auch Zeugnis für eine wichtige Entwicklung in der Geschichte der gedruckten Presse: Anfang des 20. Jahrhunderts waren „Illustrierte“ etwas ganz Neues. In Tageszeitungen wie dem „Stuttgarter Neuen Tagblatt“, dem das Schwäbische Bilderblatt einmal pro Woche beilag, gab es viel zu lesen, aber wenig anzuschauen. Mit den Illustrierten änderte sich das, eine neue Form der Berichterstattung entstand, das Stadtarchiv schreibt gar von der „Regenbogenpresse um 1910“.

Im Bilderblatt wurden Fotos aus den damaligen Kolonien ebenso gedruckt wie aus dem Louvre in Paris, es gab Bilder aus den europäischen Herrscherhäusern oder vom Ausbruch des Ätna. Und es wurden Bilder aus Stuttgart und Württemberg gedruckt. Dadurch wurde das Bilderblatt, durch das man sich im Lesesaal des Stadtarchivs blättern kann, zu einer Fundgrube für alle, die sich mit der Stuttgarter Stadtgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigen wollen.

Wasserrohrbruch und Zeppelin-Katastrophe

Der Historiker Ulrich Gohl hat in dem im Silberburg-Verlag erschienen Band „Stuttgarter Alltagsleben im frühen 20. Jahrhundert. Das Beste aus dem Schwäbischen Bilderblatt 1907 bis 1918“ 94 bebilderte Ereignisse zusammengestellt. Die Zeppelin-Katastrophe war am 9. August 1908 Thema, ein Wasserrohrbruch in der Neckarstraße mit in der Folge stundenlangem Wassermangel in der ganzen Stadt am 2. Juni 1911. Der Ausbau der Infrastruktur wie der Beginn drahtlosen Telegrafie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim waren ebenso Themen wie das durch die Industrialisierung verursachte Handwerkssterben am Beispiel eines Feuerbacher Nagelschmieds oder die Folgen des Krieges ab 1914 mit den im Hauptbahnhof einfahrenden Lazarettzügen.

Am Mittwoch, 9. März, stellt Ulrich Gohl das Buch im Gespräch mit Günter Riederer im Vortragssaal des Stadtarchivs, Bellingweg 21, vor. Dabei werden einige Beispiele dieses frühen Fotojournalismus gezeigt und Martin Ehmann wird einige der Texte aus dem Band vortragen. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Das Buch ist im Buchhandel zum Preis von 19,99 Euro erhältlich.