Die einen haben eine Klagemauer, wir eine Bruddlerstaffel Foto: Decksmann

Seit Kurzem besitzt Stuttgart ein Alleinstellungsmerkmal unter den Weltstädten: eine Bruddlerstaffel. Wir haben sie ausprobiert und festgestellt: Sie funktioniert verdammt gut.

Stuttgart - Ja leck mich am Arsch! Was für eine gottsallmächtig gute Idee! Dass man da nicht selbst draufgekommen ist! Nirgendwo ist das Bruddeln, auf Hochdeutsch auch als Meckern oder Nörgeln geläufig, so tief verwurzelt wie im Schwäbischen. Da wäre es doch gelacht, wenn eine der rund 400 bis 500 Staffeln in der Stadt nicht nach einem hiesigen Archetypus benannt wäre, dem Bruddler.

Hier wird der Bruddler in euch wachgeküsst

Schließlich waren nicht nur die Humoristen Oscar Heiler und Willi Reichert hierzulande daheim, auch der Bruddler ist ein Hiesiger. Ja womöglich schlummert er in dem einen oder der anderen von uns – und wartet nur darauf, endlich wachgeküsst zu werden.

Der Verwaltungsrat gab den Segen

Ein Bürger dieser wunderschönen Stadt brachte den Vorschlag über den Bezirksbeirat Mitte ein. Als schließlich der Verwaltungsausschuss seinen Segen gab, war’s nur noch eine Frage der Zeit, bis Stuttgart als erste Metropole weltweit eine Bruddlerstaffel ihr Eigen nennen durfte. Die Klagemauer mag mit einer Ausdehnung von 488 Metern breiter sein. Die Bruddlerstaffel hat mit 103 Stufen mehr Höhenmeter zu bieten.

Google kennt den Ort noch nicht

Seit ein paar Wochen kann man es weiß auf schwarzem Grund lesen, dazu noch in zentraler Lage. Die Bruddlerstaffel führt an der Jugendherberge vorbei hoch zur Haußmannstraße. Der Einstieg von unten ist an der Kernerstraße 59, dies nur zur besseren Orientierung, falls Sie der Staffel mal einen Besuch abstatten wollen – denn Google kennt den Ort noch nicht. Nicht dass das Gebruddle bereits losgeht, bevor der erste Treppenabsatz in Sicht kommt.

Derbe Redewendungen

Sie, liebe Leserinnen und Leser, mögen die eine oder andere derbe Redewendung in diesem Text entschuldigen. Denn noch steht der Autor ganz unter dem Eindruck der Bruddlerstaffel. Mit meinem Kollegen Kai Müller bin ich hin – einfach um mal zu schauen, was diese Staffel mit einem so macht. Ob sie gar dem Bruddler in einem die Zunge löst.

Das tut die Staffel, und zwar mit zunehmender Anzahl der Aufstiege. Neben dieser banalen Bergsteigerweisheit haben mich die 103 Stufen der Erkenntnis noch etwas anderes gelehrt: Wiewohl ich in dieser Stadt geboren bin und den schwäbischen Dunstkreis kaum verlassen habe, neige ich gar nicht so sehr zum Bruddeln. Das Bruddeln ist eher kulturpessimistischen Zeitgenossen eigen. Der gebürtige Optimist flucht.

Magische Wirkung der Staffel

Eine Lebenserfahrung, die auch meinem Begleiter Müller nicht ganz fremd zu sein scheint, wobei in seinem Fall die Meinungen auseinandergehen. Müller: „Ich bruddle eigentlich nie. Ich jammere immer, sagt meine Frau.“

Ja Heilandsack! Egal ob Jammern, Bruddeln, Fluchen: Man wird im Schatten der Bruddlerstaffel ja mal ein bissle Dampf ablassen dürfen. Wenn nicht hier, wo dann? Auf uns jedenfalls übte die Bruddlerstaffel eine geradezu magische Wirkung aus.

Manche schauen befremdlich drein

Herrgottsdonderlangmernonder. Solchermaßen befreit landet man beim Bruddeln und Schimpfen naturgemäß schnell unter der Gürtellinie. Und erntet den einen oder anderen irritierten Blick: Nicht alle Besucher, die der Jugendherberge um die Mittagszeit zustreben, sind wohl des Schwäbischen mächtig. Oder doch – und sie schauen gerade deshalb etwas befremdlich drein.

An Riassl na

Auch gräbt man, wenn man etwas in sich geht, längst verschüttet geglaubte Kraftausdrücke aus. Ich schlag dir an Riassl na, dass dir die Zähn em Arsch Klavier spielad. Ins Hochdeutsche übersetzt, klänge das wohl so: Ich haue dir aufs Maul, so dass die Zähne im Hinterteil Klavier spielen. Es flucht und bruddelt sich verdammt gut auf der Bruddlerstaffel. Natürlich nur zu den üblichen Tageszeiten und in Zimmerlautstärke.