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Nach Anschlägen sucht Bundespolizei 195 Kilometer großes Schienennetz mit Verstärkung ab.

Stuttgart - Großalarm für die Bundespolizei: Nach den beiden Anschlägen an zwei S-Bahn-Strecken im Süden Stuttgarts gehen Hunderte Beamte im Schienennetz auf Streife. Gesucht werden mögliche weitere Tatorte - und Oberleitungsmasten, die von Unbekannten angesägt wurden.

Die Anschläge auf das S-Bahn-Netz lösen Alarmstimmung aus - und einen Großeinsatz: "Wir werden das ganze Streckennetz ablaufen", sagte Bundespolizei-Sprecher Steffen Zaiser am Mittwoch. Eine große Aufgabe: Das S-Bahn-Netz im Großraum Stuttgart addiert sich auf 195 Kilometer. Immerhin: Die Entdeckung eines angesägten Oberleitungsmastes zwischen den Haltestellen Rohr und Oberaichen am Dienstagmorgen war ein Ergebnis dieser Aktion. Die Sperrung der Strecke hatte am Dienstag für massive Behinderungen im S-Bahn-Verkehr gesorgt.

Kein Dummer-Jungen-Streich

Wie ernst die Bundespolizei die Situation nimmt, zeigt sich an der Aufstockung ihrer Kräfte: "Wir haben Unterstützung von unseren Verbänden aus dem ganzen Bundesgebiet angefordert", sagt Zaiser. Die Vorgehensweise des Täters geht weit über die üblichen Dumme-Jungen-Streiche hinaus, bei denen Steine oder andere Hindernisse auf Schienen gelegt werden.

Am Sonntag hatte das S-Bahn-Phantom auf der Strecke der S1 in einem Wald nahe der Haltestelle Goldberg in Sindelfingen einen Oberleitungsmasten komplett umgesägt. Am Dienstag war es in einem Waldstück zwischen den Haltestellen Rohr und Oberaichen zugange. Der Mast war dabei nur angesägt, eine Strebe hielt noch. Mit welchem Werkzeug der oder die Täter arbeiteten, ist noch unklar. Wie es in Ermittlerkreisen heißt, sind eine spezielle Handsäge, ein Akkufuchsschwanz oder ein Trennschleifer möglich. Auffällig ist dabei, dass die Tatorte offenbar mehrfach aufgesucht werden - die Sabotageaktion findet in Etappen statt, um nicht sofort aufzufallen. Dafür spricht die angefangene, aber nicht vollendete Aktion in Oberaichen.

Ein bevorzugter Ort für Bahndelikte

Der Bereich des Stadtbezirks Vaihingen, wo auf Teilabschnitten drei S-Bahn-Linien verkehren, ist offenbar ein bevorzugter Ort für Bahndelikte. Dazu zählt der Zwischenfall im April 2011, als eine Puppe von einer Brücke auf eine fahrende S-Bahn geworfen wurde. Oder zwei Brandstiftungen im Mai 2011, die einen Fußgängersteg zwischen Rohr und Dürrlewang auf Höhe Hagelsbrunnenweg unbrauchbar machten.

Gibt es einen Zusammenhang? "Das ist eine andere Nummer", sagt Bundespolizei-Sprecher Zaiser. Die Sabotage an den Oberleitungsmasten zeige eine "koordinierte Tatvorbereitung". Die Stellen seien abgelegen, schwer einsehbar und auch vor Ohrenzeugen weitgehend geschützt. Einen Bezug zum Bahnprojekt Stuttgart21 will Zaiser aber nicht herstellen: "Das entspricht nicht der Protestkultur der Projektgegner."

"Das ist ohne Zweifel kriminell"

Die Bahn-Konzernzentrale in Berlin zeigt sich alarmiert: "Das ist ohne Zweifel kriminell", heißt es, "hier es geht darum, möglichst großen Schaden zu erzeugen." Der für Sicherheitsfragen zuständige Bahnsprecher betont, dass auch die DB selbst auf Bahnstrecken in Stuttgart eine große Suchaktion gestartet hat. "Wir versuchen auszuschließen, was möglich ist", sagt er. Auf diese Weise seien bei der Berliner Anschlagserie im vergangenen Jahr letztlich alle versteckten Sprengsätze gefunden worden.

Die Streifen sind freilich nicht ungefährlich. Der Tod eines 42-jährigen Gleisarbeiters, der am Sonntag bei Rohr von einer S1 überfahren wurde, ist so ein Beispiel - und eine traurige Folge des ersten Anschlags. Der Bahnverkehr hatte danach auf der Strecke nach Böblingen eingleisig geführt werden sollen - doch eine Weiche klemmte. Der Arbeiter sollte mit einem Serviceteam das Problem beheben - und wurde von einer S-Bahn überrollt.