Noch bis Mitte April 2023 soll Block 2 des Atomkraftwerks Neckarwestheim in Betrieb bleiben. Einen Vorrat an Jodtabletten wird es auch danach geben. Foto: dpa/Marijan Murat

Stuttgart hat 2,2 Millionen Jodtabletten für den Ernstfall gebunkert, im Land liegen 34,9 Millionen bereit – zunächst auch nach dem Abschalten der Atomkraftwerke.

Am 15. April 2023 soll der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entschiedene so genannte Streckbetrieb für die drei letzten Kernkraftwerke in Deutschland enden. Dann wird auch der Stuttgart am nächsten liegende Meiler Neckarwestheim 2 abgeschaltet, die Anlage zurückgebaut. Bald danach könnten Millionen von Kaliumjodidtabletten überflüssig werden. Allein im Regierungsbezirk Stuttgart lagern 12,95 Millionen der winzigen Pillen in Blisterpackungen, mehr als das Land Einwohner zählt. In Baden-Württemberg liegen insgesamt 34,9 Millionen in Magazinen, alle bezahlt vom Bund und erst 2020 ausgetauscht.

Jod hemmt Aufnahme radioaktiven Jods

Nach dem Kriegsbeginn Russlands gegen die Ukraine hat das Statistikamt der Landeshauptstadt die Verteilung des hoch dosierten Arzneimittels zum Thema einer Monatsschrift gemacht. Der Beitrag sei lange zuvor schon geplant gewesen, teilt das Presseamt mit, einen Zusammenhang mit dem Krieg oder der Laufzeitverlängerung gebe es daher nicht. Im Fall des Falles – nuklearer Unfall oder kriegsbedingte Strahlenbelastung – würde die Einnahme der Tabletten durch die erreichte Sättigung weitgehend verhindern, dass radioaktives Jod von der Schilddrüse aufgenommen werden und zu Krebs führen kann.

Der Lagerort wird geheim gehalten

Die Verteilung der 2,2 Millionen Stuttgarter Pillen, die laut Pressestelle an einem geheimen Ort gelagert werden, soll über die Branddirektion (also die Berufsfeuerwehr) erfolgen, Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr würden einbezogen. Trivial ist sie nicht, auch nicht für die betroffene Bevölkerung, denn die Ausgabestellen sind nicht nach Stadtbezirken gegliedert. Die Einwohnerzahl sei dann zu groß, sagt die Verwaltung, daher gliedere man die Verteilstellen nach Schulbezirken. So erhalte man „dennoch einen Ortsbezug“. Aber wer kennt schon seinen Schulbezirk?

Zu Fuß zur Ausgabestelle

Derartiges Wissen kann man sich über die städtische Homepage www.stuttgart.de erschließen, indem man das Stichwort Jodtablettenverteilung eingibt. Oder man sucht im Ernstfall, den das Regierungspräsidium in Absprache mit dem Bundesamt für Strahlenschutz erklären würde, die nächtgelegen Sport- und Versammlungshalle an größeren Schulen in seinem Bezirk auf. Und zwar zu Fuß. Denn an den Ausgabestellen seien nicht genügend Parkplätze vorhanden, und man wolle ein Verkehrschaos vermeiden, so die Verwaltung. Immerhin die Hälfte der Bevölkerung bis 45 Jahre sei auf diese Weise nach längstens zehn Minuten am Ziel, rund 90 000 Stuttgarter sind es nach 15 Minuten, rund 80 000 bräuchten zu Fuß teil deutlich länger. Über 45 wird die Einnahme wegen eines im Vergleich zu Strahlenschäden höheren Gesundheitsrisikos nicht empfohlen.

100 Kilometer vor der Grenze ist „grenznah“

Die Vorbereitung und das ganze Prozedere könnte man eigentlich im April 2026 vergessen. Denn drei Jahre nach dem Tag der letzten Abschaltung endet die Empfehlung der Strahlenschutzkommission für eine Katastropheneinsatzplanung. Deutsche Kernkraftwerke zählen dann nicht mehr, ausländische aber doch. Stehen Sie, wie zum Beispiel Cattenom in Frankreich, „grenznah“, also weniger als 100 Kilometer von der Grenze weg, müssen weiterhin Kaliumiodidtabletten für Schwangere und Jugendliche unter 18 vorgehalten werden.

Tabletten sind mindestens zehn Jahre haltbar

190 Millionen Tabletten hat der Bund 2020 beschafft, allein für Baden-Württemberg 34,9 Millionen. Deutlich mehr als zuvor, weil nach dem Reaktorunfall in Fukushima der Empfängerkreis um die Atomkraftwerke von 20 auf 100 Kilometer erweitert worden war. Die Pillen passen auf rund 2900 Paletten – und sie seien mindestens zehn Jahre haltbar, sagt die Stadt.