Die Beschuldigte hat ihr Baby mit einer Schere erstochen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Weil der Teufel es ihr befohlen habe, hat eine Frau ihre zwei Monate alte Tochter erstochen. Jetzt hat das Landgericht über die Zukunft der 30-Jährigen entschieden.

Stuttgart - Auch gestandene Polizeibeamte seien schockiert gewesen, sagt Uwe Tetzlaff, Vorsitzender Richter der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts. Niemand werde den Anblick am Tatort jemals vergessen können. „Es war eine Szenerie wie aus einem Horrorfilm“, so Tetzlaff weiter.

Der Richter spricht von dem Zimmer in einer Wohnung in Stuttgart-Frauenkopf, in dem die Einsatzkräfte in der Nacht auf den 27. Mai dieses Jahres ein totes Baby gefunden hatten. Das zwei Monate alte Mädchen lag auf dem Boden. Ihre Mutter hatte es mit mehr als einem Dutzend Stichen mit einer Schere getötet. Die Frau selbst lag teilnahmslos im Bett.

Nicht nur die Szene, die sich den Beamten und Rettungskräften bot, sondern auch das Geschehen davor mutet an wie aus einem Horrorfilm. Doch der Reihe nach.

Die Frau glaubt, Hellseherin zu sein

Die inzwischen 30 Jahre alte Frau, die in Somalia geboren ist und im Alter von einem Jahr über Frankreich nach Stuttgart gekommen war, sei bereits seit geraumer Zeit psychisch krank, so der Richter, der sich auf die Expertise einer psychiatrischen Gutachterin stützt. „Im Frühjahr 2018 nahm die Erkrankung Fahrt auf“, so Richter Tetzlaff. Die Frau hört Stimmen, sie glaubt, hellseherische Fähigkeiten zu haben, sie wird ihrem Ehemann gegenüber handgreiflich.

Der Hausarzt rät dringend zur Konsultation eines Facharztes, der Ehemann setzt aber auf einen anderen Helfer in der Not: auf seinen Onkel, einen Hodscha, also auf einen islamischen Religionsgelehrten. Der Hodscha diagnostiziert, das Leiden der Frau sei auf einen Dschinn, auf einen Geist oder Dämonen, zurückzuführen. Seine Behandlung bringt nur kurz Erleichterung.

Ein zweiter Hodscha führt eine Art Exorzismus durch, in dem er der Frau unter anderem Nadeln in die Fußsohlen sticht. Auch das bringt nicht den erhofften Erfolg. Als die 30-Jährige schwanger wird, bessert sich ihr seelischer Zustand. Aber auch dies ist nicht von Dauer. Ein Arzt wird immer noch nicht aufgesucht, auch weil die Beschuldigte Angst hat, als verrückt abgestempelt zu werden. Die Stimmen kehren in ihren Kopf zurück, immer drängender, immer massiver.

Am 26. März dieses Jahres kommt ihre Tochter auf die Welt. Ein Wunschkind, wie die Beschuldigte und ihr Ehemann betonen. Die Frau umsorgt das Baby liebevoll, es fehlt ihm an nichts. Sein Zustand ist gut, was auch der Rechtsmediziner bestätigen kann.

„Ihr Widerstand brach zusammen“

Doch der Druck auf die Frau, die eine Ausbildung zur Wirtschaftskorrespondentin absolviert hat, steigt. Am Abend des 26. Mai rutscht die Beschuldigte in einen seelischen Ausnahmezustand. Ihr Mann ist außer Haus, die Stimmen reden ihr ein, ihre Tochter sei der Teufel. Verzweifelt stellt sich die Frau gegen die Stimmen.

Sie lässt Koransuren auf Youtube laufen, sie geht im Kreis um ihre zwei Monate alte Tochter herum, immer wieder. Sie schüttet besprochenes Wasser, heiliges Wasser, auf das Kind – nichts hilft. „Ihr Widerstand brach zusammen“, so Richter Tetzlaff. Die Frau gehorcht den Stimmen und sticht mit einer Schere auf ihr Kind ein. Sie sticht so heftig zu, dass die Klinge den kleinen Körper komplett durchdringt.

Rechtlich handele es sich um einen Totschlag, so der Richter. Da die Frau aber an einer halluzinatorischen Schizophrenie leide, werde sie in der Psychiatrie untergebracht. Eine Unterbringung auf Bewährung, wie es die Verteidigerin beantragt hatte, komme nicht infrage, so der Richter. Die Erkrankung sei zu gravierend.

Gern hätte die Kammer die zwei Hodschas als Zeugen gehört. Doch die sind verschwunden. Richter Tetzlaff stellt am Ende fest: „Psychische Erkrankungen gehören nicht in die Hände religiöser Quacksalber.“