Apothekerin Sibylle Stather hört auf. Einen Nachfolger für die Stadt-Apotheke konnte sie trotz intensiver und langer Suche nicht finden. Foto: Georg Friedel

Die Zahl der Apotheken sinkt in Stuttgart seit Jahren. Auch in Feuerbach schließt nun wieder eine. Die Inhaberin der Stadt-Apotheke Sibylle Stather hört altershalber auf. Trotz intensiver Suche konnte sie keinen Nachfolger finden.

Stuttgarter Norden - An der Scheibe der Eingangstür klebt schon seit einiger Zeit ein Schild: „Apotheke geschlossen.“ Ein paar große, alte Arzneiflaschen stehen noch als Dekoration im Schaufenster. Sie werden wohl auch irgendwann verschwinden. Genauso wie das Schild mit dem Namen der Inhaberin rechts neben der Eingangstür über der Sprechanlage mit dem Notfallklingel-Knopf: „Stadt-Apotheke – Sibylle Stather“ steht da noch.

Drinnen im Verkaufsraum ist schon alles bereit für den endgültigen Auszug, die Schränke sind längst leer. Nach 108 Jahren wird die Stadt-Apotheke an der Stuttgarter Straße 101 in Feuerbach nun endgültig geschlossen. Wehmut hatte sich sowohl bei der 68-jährigen Inhaberin als auch bei ihren vielen Stammkunden in den vergangenen Wochen und Monaten breitgemacht. „Zu vielen meiner Kunden hatte ich ein sehr gutes, ja ein persönliches Verhältnis“, sagt die Apothekerin. Gerade die älteren, langjährigen Besucher fühlten sich bei ihr angenommen und aufgehoben: „Wo soll ich denn jetzt hin, wenn Sie zumachen?“, haben einige gefragt. Sibylle Stather kann die Leute gut verstehen. Denn sie werden immer weniger – die inhabergeführten Apotheken mit entsprechender Beratung.

Zahl der Apotheken geht deutlich zurück

Seit über zehn Jahren ist der Trend unverkennbar: „Die Zahl der Apotheken ist deutlich rückläufig“, sagt der Pressesprecher der Landesapothekerkammer, Stefan Möbius. Allein in Stuttgart ist die Zahl seit 2008 um 39 gesunken. In ganz Baden-Württemberg gibt es aktuell noch 2506 Apotheken: In den letzten zehn Jahren ist die Zahl landesweit um mehr als 250 gesunken. „Betroffen davon sind alle Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg“, weiß Möbius. Von einem Apothekensterben würde er aber „diesbezüglich nicht sprechen“ wollen: „Die Apotheken stellen nach wie vor die flächendeckende Versorgung sicher, auch auf dem Land“, sagt er.

Unterdessen geht der Aderlass aber stetig weiter: „Je weniger Apotheken da sind, umso weniger Zeit haben die verbleibenden Apotheker, sich um die speziellen Belange der Kundschaft zu kümmern“, sagt Sibylle Stather. Ein Teufelskreis. Und noch etwas kommt dazu: Manche der jüngeren Kunden lassen sich im Geschäft beraten und recherchieren dann online weiter, um dort günstiger zu bestellen. „Im Internet oder in Bestellgemeinschaften bekommt man natürlich viele Arzneiprodukte billiger. Aber nur mit billig, billig können wir den ganzen Apparat nicht halten und finanzieren.“

Konkurrenz durch den Versandhandel wächst

Die Konkurrenz vom Versandhandel wächst, obwohl Sibylle Stather in ihrer Apotheke davon gar nicht so viel gespürt hat: „Ich hatte nicht das Riesenproblem mit dem Internethandel. Wer zu mir kam, wollte eine individuelle Beratung, die er im Internet nicht bekommt und das wird dir dann auch entsprechend gedankt“, sagt die Apothekerin, die aus Freiburg stammt. 37 Jahre ihres 49-jährigen Apothekerlebens hat sie in dem rund 130 Quadratmeter großen Betrieb (Offizin, Verwaltung und Lager) verbracht, davon 28 Jahre als selbstständige Inhaberin. Sie ist noch eine vom alten Schlag, Sechstage-Woche und alle dreieinhalb Wochen noch ein 24-stündiger Notdienst dazu, den sie fast immer selbst erledigt hat: „Ich denke schon, dass mit unserer Generation eine Ära zu Ende geht.“

Die Stadt-Apotheke hatte eine lange Geschichte

Die Stadt-Apotheke war bis zuletzt eine der wenigen selbstständig geführten Apotheken in Feuerbach. Gegründet wurde sie im Jahr 1910. Feuerbach war damals eine eigenständige Kommune, Kaiser Wilhelm II. lebte noch, das Penicillin wurde erst 18 Jahre später entdeckt.

Salben, Säfte, Medikamente – alles machten die Pharmazeuten damals noch von Hand. Die Familie Oechsner, eine alte Apotheker-Dynastie, führte die Stadt-Apotheke über mehrere Generationen: „Ich selbst war bei Waldemar Oechsner noch angestellt“, berichtet Stather. Eigentlich wollte sie ihr Arzneimittel-Geschäft an einen jüngeren Nachfolger weitergeben: „Aber ich habe niemanden gefunden, der die Stadt-Apotheke weiterführen will.“ Vor fünf Jahren hat sie angefangen, nach einem Nachfolger zu suchen. Damals hatte sie sich noch nebenher um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern müssen. Ihr wurde nach und nach klar: „Das wird mir zu viel. Ich muss die Verantwortung abgeben und den Übergang regeln.“ Doch mit derartigen bürokratischen Hürden und organisatorischen Schwierigkeiten hatte auch sie nicht gerechnet. Schließlich war ihr Betrieb „pumperlgesund“, wie man auf bayerisch so schön sagt. „Es gab keinerlei finanzielle Gründe für die jetzige Aufgabe und das Ende der Traditions-Apotheke“, stellt sie klar. Die Geschäfte seien gut gelaufen, der Umsatz habe gestimmt. Auch die Lage war nahezu optimal gewesen, es gab ein Ärztehaus in der Stuttgarter Straße und einige niedergelassene Mediziner in unmittelbarer Nähe: „Ich hatte grob geschätzt etwa 100 Kunden pro Tag.“

Die Angestellten sind alle untergekommen

Neun Angestellte beschäftigte sie zuletzt, die meisten in Teilzeit: „Sie sind längst alle woanders untergekommen“, freut sie sich. Doch das ist die andere Seite der Medaille: Während die Zahl der öffentlichen Apotheken in Baden-Württemberg kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der beschäftigten Apotheker an. Landesweit sind erstmals über 7000 Apotheker beschäftigt, trotzdem sind die Nachwuchs-Sorgen groß, der Markt ist leergefegt: „Trotz der gestiegenen Zahlen ist der Bedarf groß“, sagt Sprecher Möbius. Zudem ist der personelle Aufwand, eine Apotheke fachgerecht zu führen, gestiegen: Diesen Trend erklärt Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer, wiederum so: „Arzneimittel ermöglichen immer mehr Menschen, auch im Alter noch aktiv am Leben teilzunehmen. Das funktioniert aber nur, wenn die Arzneimittel richtig angewendet werden. Deshalb wird auch die Beratung in den Apotheken immer intensiver und aufwendiger.“

Kleinere Apotheken wie die von Sibylle Stather sind daher personell auf Kante genäht, sie leiden aber auch unter den überbordenden bürokratischen Bestimmungen: „Ich denke, dass die heutigen Auflagen nicht mehr auf die kleineren Apotheken zugeschnitten sind. Das ist mit einer normalen Betriebsführung nur noch schwer zu bewerkstelligen. Du musst ständig noch und nöcher dokumentieren, bevor du mit der eigentlichen Arbeit beginnen kannst“, analysiert Stather die aus ihrer Sicht unbefriedigende Ist-Situation. Hinzu kommen weitere Faktoren, die den Job eines Apothekenbetreibers zunehmend schwieriger machen, wie der Fachärztemangel oder die Konkurrenz durch den Onlinehandel.

Stather hat bei der Suche nach einem Nachfolger viele Hebel in Bewegung gesetzt: „Ich habe Anzeigen aufgegeben, ich habe Aushänge an der Universität gemacht und ein von mir beauftragter Berater hat auch nach geeigneten Kandidaten gesucht“, berichtet die 68-Jährige. Gefruchtet habe das alles nicht.

Also löst nun Sibylle Stather – nolens, volens – ihren Betrieb auf. „Den Stammkunden tut es arg leid, dass die Apotheke geschlossen wurde. Aber sie haben auch Verständnis, dass ich altershalber aufhöre.“