Stefan Kaufmann (CDU), Moderatorin Annette Kosakowski, Beate Müller-Gemmeke (Grüne) und ihre SPD-Kollegin Ute Vogt (v.l) waren im Werkhaus zu Gast. Foto: Torsten Ströbele

Experten, Betroffene und Politiker haben beim Bhz über das neue Bundesteilhabegesetz diskutiert. der Entwurf muss noch an einigen Stellen verändert werden, da waren sich alle einig.

Stuttgart-Feuerbach - Menschen mit Behinderung gehören in die Mitte der Gesellschaft. Sie sollen überall dabei sein können, wo sie wollen: in der Schule, in der Kita, am Arbeitsplatz, im Wohngebiet oder in den verschiedenen Freizeiteinrichtungen. Schon 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft getreten, welche die Teilhabe von Menschen mit Behinderung gesetzlich regelt. Doch die Praxis sieht oft anders aus.

Nun soll das neue Bundesteilhabegesetz „die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessern und so einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft setzen“, heißt es beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Allerdings stieß der Gesetzesentwurf bei vielen Betroffenen, Verbänden und Organisationen nicht gerade auf Gegenliebe. Am kommenden Mittwoch, 22. September, soll das Bundesteilhabegesetz in erster Lesung in den Bundestag eingebracht werden. „Jetzt haben wir also noch die Möglichkeit, Verbesserungen und Änderungswünsche anzubringen“, sagte Irene Kolb-Specht am vergangenen Mittwoch. Die Abteilungsleiterin bei der Diakonie Württemberg war im Werkhaus des Bhz (ehemals Behindertenzentrum) in Feuerbach zu Gast, um gemeinsam mit anderen Experten, Betroffenen und drei Bundestagsabgeordneten über das neue Gesetz zu sprechen. Stefan Kaufmann (CDU) und Ute Vogt (SPD) betonten zunächst einmal, dass sie froh seien, dass dieses Gesetz nun auf den Weg gebracht sei. „Es ist seit Jahren überfällig. Bislang hatte sich noch keiner da rangetraut“, sagte die Sozialdemokratin. „Sicherlich müssen wir an der einen oder anderen Stelle noch etwas verbessern, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“

„Die Richtung stimmt“, bestätigte auch Beate Müller-Gemmeke (Die Grünen), aber der Anspruch das Leben der Menschen mit Behinderung mit diesem Gesetz nur ein bisschen zu verbessern, sei ihr definitiv zu wenig. „Dass die Menschen sauber und satt sind: Das kann es nicht gewesen sein. Es darf auf keinen Fall ein Kostenbegrenzungsgesetz werden.“

Das neue Gesetz soll am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten

Die anwesenden Experten im Werkhaus begrüßten grundsätzlich die Gesetzesinitiative, hatten aber bei einigen Punkten starke Bedenken beziehungsweise sahen Verbesserungsbedarf. „Wir haben die Sorge, dass mit dem Gesetz Menschen von der Eingliederungshilfe ausgeschlossen werden, die sie derzeit bekommen“, sagte Bhz-Geschäftsführer Albert J. Ebinger. Das könne vielleicht 20 von rund 400 Menschen beim Bhz betreffen. Der Grund hierfür sei die geplante Neuregelung der Eingliederungshilfe. Bezugsberechtigt seien künftig laut Gesetzentwurf diejenigen, die in mindestens fünf von neun sogenannten Lebensbereichen wie beispielsweise Lernen, Kommunikation, Mobilität oder häusliches Leben personelle oder technische Unterstützung bräuchten. „Jemand, der nur in der Schule eine hohe Assistenz braucht, ist dann davon abhängig, welcher Sachbearbeiter ihm gegenübersitzt und wie voll der Geldtopf zu diesem Zeitpunkt noch ist“, sagte Ulrike Bauer-Murr, Geschäftsbereichsleiterin der Nikolauspflege. „Da gibt es nur noch einen Ermessensanspruch.“ Das sei definitiv zu wenig. Jeder, der Unterstützung brauche, müsse sie auch bekommen.

„5 aus 9: Das kann ins Auge gehen“, sagte auch der Behindertenbeauftragte der Stadt, Walter Tattermusch. Zudem hoffe er, dass mehr Menschen mit Behinderung eine Arbeit finden. Doch dafür müsse die sogenannte Ausgleichsabgabe im Gesetz erheblich erhöht werden. Unternehmen müssen derzeit 320 Euro pro Monat bezahlen, wenn sie zu wenig Menschen mit Behinderung beschäftigen. „Die Summe ist ein Witz“, sagte Tattermusch.

Zudem machten sich die Experten dafür stark, dass Behinderung nicht arm machen darf. Es könne nicht sein, dass erst einmal das gesamte Ersparte aufgebraucht werden müsse, ehe es finanzielle Unterstützung gebe. Beate Müller-Gemmeke konnte dem Anliegen nur zustimmen. Der Freibetrag müsse erhöht werden: „Der Ruf nach dem Recht auf ein Sparbuch ist berechtigt. Viele Menschen mit Behinderung arbeiten ja schließlich auch.“

Die drei Bundestagsabgeordneten wollten in ihren Fraktionen noch einmal über die Anliegen der Experten und Betroffenen sprechen. Das Bundesteilhabegesetz soll am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Einige Änderungen sollen aber erst sukzessive bis zum Jahr 2020 greifen.