Auf ihrer Seite wirbt die Meri Boarding Group mit 65 Wohnungen auf dem Europaplatz. Vor allem Firmen sind die Kunden. Foto: Ott

Die Wohnungsnot ist überall greifbar, gleichzeitig protestieren Anwohner gegen Nachverdichtungen. Ein sogenanntes Boarding House in Stuttgart-Fasanenhof belegt derweil mehr als 60 Wohnungen. Wie passt das alles zusammen?

Fasanenhof - Der Bürgerverein hat ein Interesse daran, dass es im Fasanenhof ein attraktives Wohnangebot gibt. Seine Mitglieder sprechen sich vehement gegen die so genannte Nachverdichtung im Fasanenhof aus, weil sie befürchten, dass durch den neuen Wohnraum, den vorerst die Genossenschaften errichten wollen, das Quartier seinen grünen Charakter verliert. Eigentlich kann es sich der Verein nicht leisten, Wohnungen im Fasanenhof verhindern zu wollen und gleichzeitig die Zweckentfremdung von Wohnungen in Kauf zu nehmen. Dennoch hält sich der Vereinsvorsitzende Günther Joachimsthaler auffällig bedeckt, wenn es um ein Boarding-House am Europaplatz geht. „Dass das nun alles ein Problem ist, habe ich erst vor ein paar Tagen erfahren“, sagt er.

Es geht um mehr als 60 Wohnungen. Das sei zwar eine ganze Menge, sagt Joachimsthaler. Aber es seien eben nur Ein- bis Zweizimmerwohnungen, die als Sozialwohnungen wohl kaum in Betracht kämen. Er wisse, dass ein Boarding-House die Wohnungen an Firmenmitarbeiter vermiete und sehe immer wieder Inder, die dort Gäste seien. Bei seinen Führungen durch den Fasanenhof weise er immer auf diese Nutzung hin.

Die SPD hat einen Antrag formuliert

Doch in Stuttgart herrscht eine Wohnungsknappheit, die nur schwer zu ertragen ist. Umso schwerer wäre zu ertragen, wenn sich ein Verdacht der SPD erhärten würde: Die Genossen sprechen von einem Hotel auf dem Europaplatz, das dort eigentlich gar nicht stehen dürfte, Wohnungen würden dort und außerdem am Hallschlag in Bad Cannstatt zweckentfremdet.

„Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Stadtverwaltung die mit dem Zweckentfremdungsverbot verbundenen Aufgaben nicht angemessen erfüllen kann“, schreibt die SPD in einem Antrag. Der Europaplatz mit Stadtbahnhaltestelle sei im Rahmen des Projekts „Soziale Stadt“ als neues Stadtteilzentrum geplant gewesen – mit Immobilien für Wohnen und Nahversorgung, nicht aber für Zimmervermietungen. Dasselbe gelte für die Räume in Bad Cannstatt.

Die Geschäftsführerin der Firma will sich nicht zu den Vorwürfen äußern

Tatsächlich wirbt eine sogenannte Meri Boarding Group mit ihrem Firmenlogo auf einem der Neubauten am Europaplatz um Kunden – gleich neben den ganz normalen Briefkästen von Menschen, die dort wohnen. Die Geschäftsführerin der Firma will sich auf Anfrage unserer Zeitung nicht zu den Vorwürfen der SPD äußern. Aus der Selbstdarstellung des Unternehmens auf deren Webseite geht aber hervor, dass man sich als Boarding-Haus versteht, das in erster Linie möblierte Räume an Firmenmitarbeiter in Stuttgart vermietet.

Fotos jedenfalls zeigen möblierte Zimmer, den Blick über den Europaplatz und Leute in Bürokleidern, die auf einem Balkon mit Sektgläsern anstoßen. Die Rede ist von insgesamt 65 voll ausgestatteten Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen. Auf der Internetseite booking.com, auf der Hotelzimmer weltweit gebucht werden können, ist ein Deluxe-Appartment für 177 Euro pro Übernachtung zu haben. Bei der Konkurrenz von HRS zahlt man nur noch 160 Euro.

Die Stadtverwaltung prüft derzeit den Sachverhalt

Ist das nun verkappter Hotelbetrieb oder nicht? Prinzipiell gelte laut Sven Matis, einem Sprecher der Stadt: „Das Baurechtsamt ist aktiv gegen Zweckentfremdung.“ Ziel der Stadt sei es, mehr Wohnungen bereitzustellen. Das sei mit der Satzung gegen Zweckentfremdung auch gelungen. „Maßstab bei der Prüfung der Bauanträge ist die rechtmäßige Nutzung“, sagt Matis. Diese richte sich am Bebauungsplan aus, der vom Gemeinderat beschlossen wurde – wie es sich hier verhält, prüfe das Amt zur Zeit.

Der Stadtrat Hans-Peter Ehrlich (SPD) wohnt im Fasanenhof und gibt sich im Gespräch mit unserer Zeitung als einer der Initiatoren der Anfrage der SPD-Gemeinderatsfraktion zu erkennen. „Das Thema Zweckentfremdung beschäftigt uns. Wir vermuten, dass sie mehr stattfindet, als öffentlich wird“, sagt er. Die Boarding Houses im Stadtgebiet seien der Anlass gewesen, eine Anfrage an die Stadt zu stellen. „Wir vermuten, dass es mit den Vermietungen am Europaplatz nicht so gut geklappt hatte wie gedacht, sodass es nun zu einer solchen Nutzung kommt“, sagt Hans-Peter Ehrlich. Seine Fraktion wolle bei der Anfrage an die Verwaltung auch wissen, ob ähnliche Fälle im Stadtgebiet bekannt seien: „Unser Antrag ist als offene Frage formuliert, und wir hoffen, dass wir eine entsprechende Antwort von der Stadtverwaltung erhalten.“

Man müsse, sagt der Stadtrat, die Verwaltung regelmäßig mit solchen Anfragen bombardieren, anderenfalls schaue sie zu wenig nach. Dies liege aber weder an bösem Willen, noch an Trägheit: „Sie haben einfach zu wenig Personal.“ Deshalb, schlägt Ehrlich vor, könne man ja für Mitteilungen über Zweckentfremdung werben, „ohne dass dies natürlich in Denunziantentum ausartet“.