Manche Teilnehmer müssen zunächst ihre Höhenangst überwinden. Foto: Caroline Holowiecki

Ist Yoga in 144 Metern Höhe doppelt erhebend? Ein neues Kursangebot auf dem Fernsehturm legt das nahe. Wir haben uns das Auftakttraining in den Wolken angeschaut.

Degerloch - Ein langes, sonores Ommmmm füllt den Raum. Die Luft schwingt förmlich mit. Auch Marion Müller hat die Augen geschlossen und wirkt versunken, ganz weit weg. Dabei hatte die 60-Jährige aus Sindelfingen nur Minuten zuvor noch zittrige Hände gehabt, gezweifelt, ob sie sich entspannen können werde. „Für mich ist das eine Herausforderung, ich habe Höhenangst“, doch um die Furcht zu überwinden, wolle sie das Ungeliebte mit etwas Schönem verbinden. Jetzt wirkt sie tiefenentspannt. 144 Meter über der Erde. Beim Yoga auf dem Fernsehturm.

Ausgerichtet wird das neue Hoch-über-Degerloch-Training vom Studio Yoga Loft aus S-West in einer Kooperation mit der SWR Media Services GmbH, der Betreibergesellschaft des Fernsehturms. Acht Termine mit unterschiedlichen Yogastilen hat die Trainerin Sibylle Epple angesetzt, jeder könne einzeln gebucht werden, sowohl von Anfängern als auch Fortgeschrittenen. Thematisch orientiert sich das Programm am Standort, erklärt die 43-Jährige, „es geht um Erdung, Weitsicht und Perspektivwechsel“. Der runde Veranstaltungssaal unmittelbar unter dem Fernsehturm-Café sei dafür bestens geeignet und symbolträchtig obendrein, „es gibt kein Anfang und kein Ende“, sagt Sibylle Epple. Die Idee: dem Himmel ganz nah – geistig und körperlich. Ähnlich sieht es auch Martina Becker von SWR Media Services. Yoga stehe für Entspannung, für das Genießen des Moments, „das funktioniert sehr gut an einem Ort, der Weite vermittelt“.

Leider ist die Sicht an jenem Tag schlecht

Auf dem Programm steht zum Auftakt ein sogenanntes Prana-Flow-Vinyasa-Yoga, eine, so heißt es, dynamische Variante. „Open your mind! Free your soul“ fordert der Veranstaltungstitel auf, und die Teilnehmer haben das augenscheinlich verinnerlicht. Bei der „Kobra“ oder dem „nach unten schauenden Hund“ biegen sie ihre Wirbelsäulen, ohne eine Miene zu verziehen. Dass die Sicht auf Stuttgart an diesem Tag alles andere als gut ist, scheint die Gruppe nicht zu stören. „Das gehört zur Yogapraxis: sich entspannen mit dem, was da ist, weil man es ohnehin nicht ändern kann“, hat Sibylle Epple angesichts der weißen Wand vor den Fenstern als Motto ausgegeben, denn „sich dem Fluss des Lebens hinzugeben, kann sehr anregend sein“.

Die Plätze sind erst einmal ausgebucht

Die Kombination aus Sport, Meditation und Höhe kommt an. Die 28 Plätze für die Premiere sind ausgebucht, ebenso für den nächsten Termin im Juni, und das trotz der Kosten von 22 Euro plus sieben Euro Aufzugsgebühr pro Einheit. Immerhin könne man nach Ende des Trainings noch etwas bleiben und die Aussicht von der Plattform genießen, sagt Sibylle Epple. Aber auch so scheint es den Teilnehmern das Geld wert zu sein. „Das ist nichts Alltägliches“, sagt etwa Mona Heintze (49) aus Kaltental, die mit zwei Bekannten gekommen ist. „Ein cooles Angebot“ findet sie das Turm-Yoga, „ich mag es, neue Locations auszuprobieren“.

Katrin Rügheimer (45) aus Zuffenhausen, die vor Beginn noch Handyfotos durch die Wolkenlücken geschossen hat, strahlt. Seitdem sie von Yoga auf dem Londoner Wolkenkratzer The Shard gehört habe, habe sie davon geträumt, selbst einmal in der Höhe zu trainieren. Dass es jetzt in der Heimat gehe: umso besser. „Das ist das Wahrzeichen Stuttgarts, das ist ein Event“, sprudelt es aus ihr heraus. Fürs nächste Mal hofft Sibylle Epple auf besseres Wetter und klare Sicht, denn sie prophezeit: „Beim Sonnenuntergang hat man das Gefühl, im Himmel zu sein.“