Eigentlich schien es schon ziemlich sicher, dass sich eine Aldi-Filiale in Stuttgart-Degerloch ansiedeln darf. Nun nimmt die Stadt Stuttgart Wohnungen plötzlich deutlich wichtiger als einen Discounter. Was ist passiert?
Degerloch - Vor anderthalb Jahren klang dies noch ganz anders: Im April 2017 hieß es aus der Verwaltung, dass die Stadtplaner im Rathaus die Ansiedlung eines Discounters im Degerlocher Ortskern als „angebrachte Ergänzung des Angebots“ erachten, die zur „Stabilisierung und Attraktivierung“ des Versorgungszentrums beitrage. Die Verwaltung sprach sich damals für eine gemischte Nutzung des derzeitigen Parkplatzes und der Grünfläche an der Felix-Dahn-Straße aus. Sprich: dass ein Gebäude entsteht, in dem unterirdisch ein Discounter und oberirdisch ein generationenübergreifender Treffpunkt mit Inklusionswohnungen Platz finden soll. Nun haben die Stadtplaner ihre Meinung offenbar geändert.
„Die Stadt braucht mehr Wohnungen. Wo immer es möglich ist, sollen neue Wohnungen entstehen. Darauf achten wir gerade dann, wenn wir eigene Grundstücke entwickeln – so auch an der Felix-Dahn-Straße“, schreibt der Pressesprecher Sven Matis in einer Stellungnahme. Nach der Vorstellung der Stadtverwaltung sollen auf dem Gelände neue Wohnungen, speziell für sozial-integrative Wohngruppen, gebaut werden. „Ein Grund für diesen Vorschlag ist, dass Degerloch bereits eine gute Versorgung bietet, gerade in und um die Epplestraße“, erläutert Matis. Außerdem müsste vor dem Bau eines Discounters ein Verfahren ausgeschrieben werden – was bisher nicht passiert ist.
Seit der Lidl-Schließung gibt es keinen Discounter mehr
Eberhard Klink, Sprecher des Gewerbe- und Handelsvereins (GHV) in Degerloch, ist frustriert über diese Entwicklung: „Monatelang weiß keiner, was sich die Verwaltung ausgedacht hat, und nun deutet es darauf hin, dass der Discounter nicht mehr die favorisierte Lösung ist.“ Tatsächlich entscheiden schlussendlich aber nicht die Mitarbeiter der Stadt, sondern die Stadträte, ob sich ein Discounter ansiedeln darf oder nicht. Sven Matis verspricht, dass sich die Verwaltung noch in diesem Jahr mit Mitgliedern des Gemeinderats und des Degerlocher Bezirksbeirats besprechen werde.
Eberhard Klink hofft, dass sich die Lokalpolitiker für einen Discounter aussprechen. „Bisher fahren die Menschen nach Möhringen oder Echterdingen, um bei einem Discounter einzukaufen – und das sind beileibe nicht nur die Bedürftigen, sondern auch diejenigen, die mit einem SUV unterwegs sind. Das Bedürfnis ist da.“ Seit der Schließung der Lidl-Filiale an der Epplestraße im Februar 2015 gibt es in Degerloch keinen Discounter mehr.
In der Vergangenheit haben der Gewerbe- und Handelsverein als Befürworter eines Discounters wie auch die Degerlocher Ortsgruppe der Naturfreunde als Gegner Umfragen gemacht, um herauszufinden, wie die Stimmungslage unter den Bürgern ist. „Dabei kam raus, dass der größere Anteil für einen Discounter ist, ein nicht viel kleinerer Teil dagegen und ein sehr großer Teil sich gar nicht geäußert hat“, sagt Klink.
Gegner befürchten einen Verkehrskollaps
Der Sprecher des GHV weiß, dass die Gegner zwei Argumente gegen einen Discounter im Ortskern haben: Sie befürchten einerseits einen Verkehrskollaps rund um die Epplestraße. „Das kann ich gut verstehen, ich teile diese Sorge. Aber es gibt verschiedene Ideen, wie man es bewerkstelligen kann, dass die Discounterkunden nicht auch über die Epplestraße fahren. Man muss immer den großen Zusammenhang sehen.“ Für das andere Argument hat Klink weniger Verständnis, nämlich dass durch die Ansiedlung eines Discounters kleinere Geschäfte verschwinden könnten. „Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist und die kleinen Läden von einem Discounter in der Nähe profitieren.“
Um zu erfahren, wie es nun weitergeht, haben die Stadträte der Freien Wähler und der FDP einen Antrag gestellt, dass in einer der nächsten Sitzungen des Umwelt- und Technikausschusses erläutert wird, wie der Planungsstand für das Areal an der Felix-Dahn-Straße ist, was in den letzten zwei Jahren passiert ist und wann mit einem Realisierungswettbewerb mit anschließender Ausschreibung gerechnet werden kann. „Wir sind der Meinung, dass dieses innovative, sozial integrierte Projekt einen Meilenstein in der Weiterentwicklung Degerlochs darstellt“, heißt es in dem Antrag.