Elfriede Grunow Osswald und Hans-Martin Ehmann vom Degerlocher Freundeskreis Flüchtlinge unterstützen Alaa Sheikh Qatana auf seinem Weg. Foto: Cedric Rehman

In unserer Serie „Mein 2017“ sprechen wir mit Menschen, die im vergangenen Jahr etwas Außergewöhnliches erlebt haben. Wir fragen nach, wie es ihnen geht, was sich inzwischen verändert hat und blicken auch in die Zukunft. Heute: ein Flüchtling aus Stuttgart-Degerloch, der Arbeit gefunden hat.

Degerloch - Alaa Sheikh Qatana kannte Stuttgart aus Youtube-Videos, die er sich vor dem Krieg in Syrien angeschaut hat. Damals habe er im Internet mehr erfahren wollen über jene Autostadt, in der Luxuskarossen gebaut werden, erzählt der Syrer mit leuchtenden Augen. „Als ich dann das erste Mal in Stuttgart war, war das ein Gefühl wie: ,Wow, hier bauen sie also Mercedes Benz‘“, sagt er. Der Syrer vermietete und verkaufte in der syrischen Hauptstadt Damaskus Autos. Auch ein paar schicke Rennwagen seien darunter gewesen. Doch damit ist Schluss. Qatana hat umgesattelt. Statt anderen Lust auf Pferdestärken zu machen, betreut er für die Deutsche-Angestellten-Krankenkasse DAK Flüchtlinge als Dolmetscher.

Der Syrer kramt eine Visitenkarte aus seinem Geldbeutel. Sein Name steht auf der Karte unter dem Logo der DAK. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände. Da ist es wieder, dieses Leuchten in den Augen. Als wäre der Job bei der DAK so etwas wie ein Mercedes und die Visitenkarte der Autoschlüssel. Qatana hofft, dass die Karte ein Eintritt sein könnte in eine bessere Zukunft nach dunklen Zeiten.

Der heute 28-Jährige floh 2015 mit seiner inzwischen 18-jährigen Schwester Duaa über die Balkanroute nach Deutschland. Die Schwester hatte eine Schulaufgabe genutzt, um das Regime zu kritisieren. „Die Lehrerin wollte, dass die Schüler etwas aufschreiben über das Leiden der Palästinenser. Meine Schwester hat lieber etwas über ihren Alltag in Damaskus geschrieben und gefragt, was sie die Palästinenser angehen, wenn es den Syrern doch noch schlechter gehe“, erzählt Qatana. Es ist ihm anzuhören, dass er stolz ist auf die rebellische Schwester. Auch wenn ihr Mut bedeutet hat, dass sie selbst verhaftet und Teile der Familie in Sippenhaft genommen worden sind. Dem Bruder gelang es, unterzutauchen. Nachdem die Schwester aus dem Gefängnis entlassen wurde, machten sich die beiden auf den Weg nach Europa.

Der Syrer floh mit seiner Schwester

Heute geht Quatanas Schwester auf die Berufsschule. „Sie will Physiotherapeutin werden“, sagt er. Er ist schon einen Schritt weiter und froh, dass jeden Morgen der Wecker klingelt und Arbeit auf ihn wartet. Es sei großartig, Teil eines Teams zu sein und Wertschätzung zu erfahren, meint er. „Wenn mein Chef zufrieden ist, dann sagt er mir das. Das macht mich glücklich.“ Er ist zur Stelle, wenn Flüchtlinge aus arabischen Ländern ihre Bescheide von der DAK nicht verstehen. Er übersetzt zwischen Mitarbeitern und arabischsprachigen Kunden und klärt Flüchtlinge über Leistungen auf. Mit seiner Arbeit als Autohändler und seiner Leidenschaft für PS-starke Karossen hat seine neue Arbeit so viel zu tun wie deutscher Filterkaffee mit dem mit Kardamon gewürzten syrischen Mokka. Welche Eigenschaften aus seinem alten Leben nutzen ihm als Versicherungsangestellten in Deutschland? Qatana meint, dass er gerne Händler gewesen sei. „Ich kann gut mit Menschen umgehen und gehe auf alle zu, denke ich“, sagt er.

Qatana berät andere Flüchtlinge

Elfriede Grunow-Osswald vom Degerlocher Freundeskreis Flüchtlinge lobt Qatana für seine Flexibilität, die ihm helfe, sich auf Neues einzustellen. Deshalb, so vermutet sie, habe er Erfolg in dem neuen Job, der so wenig mit dem alten zu tun habe. „Es ist unglaublich wichtig, dass jemand will, und Alaa will unbedingt“, sagt die stellvertretende CDU-Bezirksbeirätin. Sie nennt den Syrer einen Überlebenskünstler.

Grunow-Osswald arbeitet im Degerlocher Freundeskreis Flüchtlinge in der Arbeitsgruppe, die sich bemüht, Flüchtlinge in Jobs zu vermitteln. Die Ehrenamtlichen unterstützten Qatana seit seiner Ankunft in Degerloch bei der Integration. Als die DAK sich umgehört habe, welcher arabischsprachige Flüchtling einen solchen Job machen könnte, sei ihnen Qatana von den Ehrenamtlichen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) empfohlen worden, sagt sie. Beim DRK hatte sich Qatana freiwillig engagiert, als er noch im Heim auf der Waldau lebte. „Ich wollte was tun und nicht nur rumsitzen“, sagt er.

Frau und Kind sind in Syrien

Grunow-Osswald hofft, dass Qatana Frau und Kind irgendwann nach Deutschland nachholen kann. „Er verdient genug, um beide zu versorgen. Mal sehen, wie die Politik das künftig regelt“, sagt sie. Am Familiennachzug scheiterten im November die Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen für eine Jamaika-Koalition. Ein Kompromissvorschlag zwischen den Parteien sah vor, dass der Familiennachzug bevorzugt jenen Flüchtlingen gestattet wird, die ein geregeltes Einkommen haben und bei der Integration erfolgreich sind.

Grunow-Osswald hätte dies begrüßt. Denn sie ist überzeugt, dass Deutschland ein Interesse hat, gut integrierte Flüchtlinge im Land zu behalten. „Auch wenn die öffentliche Meinung es nicht mehr hören will, unsere Wirtschaft braucht dringend Fachkräfte“, sagt sie. Qatana schweigt zu den Ausführungen der Ehrenamtlichen. Er sagt, dass er noch Hoffnung habe, seine Familie nach Deutschland nachholen zu können. Dafür lohne sich jede Anstrengung, sagt er. Der Autofan will weiter Gas geben bei der Gestaltung seiner Zukunft.