Angelika Daiker möchte eine Zäsur, sie nimmt ein Sabbatjahr. Was danach kommt, weiß sie noch nicht. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Das Hospiz ohne Angelika Daiker? Ein Gedanke, der schwerfällt. Doch die 62-jährige Theologin verlässt zum Monatsende ihr Baby. Sie hat das Hospiz in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut. Sie sagt: mit aufgebaut.

Degerloch - Sie hat ja noch bisschen Zeit, bis es so weit ist. Das hat sich Angelika Daiker gesagt, wenn sie an den Abschied dachte. Bis vor ein paar Wochen hat das gut funktioniert. Doch seit sie aus dem Sommerurlaub wieder da ist, fühlt sich die Sache anders an. Und inzwischen hat sogar der Oktober angefangen – ihr letzter Monat in Degerloch. „Es ist eine besondere Zeit“, sagt sie. Nicht nur jedem Anfang, auch jedem Abschied wohnt ein Zauber inne. In dem Fall ist es Angelika Daikers Abschied vom katholischen Hospiz Sankt Martin. Gefeiert wird er am 26. Oktober.

Das Hospiz ohne Angelika Daiker? Es ist ihr Baby, die Theologin hat es vor zehn Jahren mit gegründet, aufgebaut, Netzwerke gesponnen, dem Haus ein Gesicht verliehen. Mit anderen Worten: Angelika Daiker ist das Hospiz. Auch wenn sie das selbst so nie ausdrücken würde. Sie sagt: „Ich habe das alles hier mitaufgebaut“, das „mit“ betont sie und denkt dabei unter anderem an die vielen Ehrenamtlichen, die dem Haus verbunden sind. „Sie tun hier nicht nur einen Dienst“, sagt Daiker. Sie tragen kräftig mit. Doch sie selbst war nun mal die Leiterin. „Ich war hier schon sehr prägend“, sagt sie, „ich gehöre sozusagen zum Urgestein.“

Ins Degerlocher Hospizkommen Menschen, um zu sterben. Es ist zu einem Ort geworden, an dem Tod und Trauer ihren Schrecken verlieren. Das Haus hat sich einen einladenden Ruf erarbeitet, die acht Zimmer für Sterbende, die hier Gäste heißen, sind eigentlich immer belegt.

Sie richtet ihr Augenmerk auf die Hinterbliebenen

Aber nicht nur die Todkranken hatte Angelika Daiker im Blick in ihrer Zeit im Hospiz Sankt Martin. Sie persönlich hat ihr Augenmerk immer schon eher auf die Zurückgelassenen gerichtet. Sie seien diejenigen, die mit der Lücke leben müssen, sagt sie. Gab es anfangs drei Trauergruppen im Hospiz Sankt Martin, sind es inzwischen ein gutes Dutzend. Für viele sind die Treffen die Rettung, das sagen die Trauernden immer wieder. Sie auf dem Weg, wieder Mut zu fassen, zu begleiten, war und ist Angelika Daikers Berufung.

Eine Erkenntnis, die sich für Angelika Daiker über die Jahre verfestigt hat: „Man sollte nicht zu viel aufschieben.“ Immer wieder sei sie Menschen begegnet, die sich ihre Träume für die Rente aufgespart haben. Kaum war es dann so weit, war es zu spät, weil ein Ehepartner gestorben ist.

Vor zwei Jahren wurde Angelika Daiker selbst schwer krank. Damals merkte sie: Sie braucht eine Zäsur. Ihr ist nach etwas Neuem, aber zunächst will sie eine Pause. Sie gönnt sich ein Sabbatjahr. Ein Jahr, in dem sie in sich reinhören will. „Was ist mein Lebensauftrag, mein roter Faden?“, sagt sie. Ähnliche Fragen, wie sie sich Sterbende stellen. Was nach der Auszeit kommt, weiß Angelika Daiker nicht. Will sie auch gar nicht. „Da ist eine große Offenheit“, sagt sie. „Das ist mit 62 natürlich auch etwas waghalsig.“ Die Vorfreude glitzert trotzdem in ihren Augen.

Die Mitarbeiter wissen seit einem Jahr Bescheid

Aber wie nimmt eine Frau Abschied, deren Alltag seit zwei Jahrzehnten Abschiede sind? Mit Zeit. Angelika Daiker hat ihren Mitarbeitern bereits im Sommer 2016 gesagt, dass sie aufhört. Sie dachte, so kommt es nicht so plötzlich. Für sie – und für die anderen.

Den Oktober wird Angelika Daiker mit ihrer Nachfolgerin Margit Gratz gemeinsam im Hospiz verbringen. Für die neue Leiterin gibt es viel zu tun. In Degerloch plant das katholische Stadtdekanat bekanntlich ein Trauerpastorales Zentrum. Margit Gratz wird es – zusammen mit dem Hospiz – leiten. Das sei eine gute Nachricht fürs Thema Trauer, wie Angelika Daiker findet. Während die Sterbebegleitung in den vergangenen Jahren immer mehr Zuspruch bekommen habe, „hat die Trauer in unserer Gesellschaft keine Lobby“, sagt sie.

Vielleicht ändert sich das in Degerloch bald ein bisschen. Sie wird es verfolgen, wenn auch nicht mehr von ihrem Büro an der Degerlocher Jahnstraße aus. Dort herrscht ein Anflug von Aufbruchstimmung. Angelika Daiker hat begonnen, ihre Habseligkeiten zu ordnen. Trotzdem gibt es noch einiges zu tun. Aber ein bisschen Zeit hat sie ja auch noch.