Noch ist die Feierhalle auf dem Birkacher Friedhof nach drei Seiten hin offen. Das könnte sich im nächsten Jahr ändern. Foto: Judith A. Sägesser

Die Menschen in Stuttgart-Birkach haben hart um eine winddichte Feierhalle auf dem Friedhof gekämpft. Nun, kurz vor dem Etatbeschluss der Stadt Stuttgart, zeichnet sich für die Birkacher Erfreuliches ab.

Birkach - Der kleine grüne Bagger umrundet die Feierhalle langsam und tuckert dann durch die Grabreihen. Es ist ein kalter Morgen. Auf die Feierhalle und ihre lange Geschichte angesprochen, zuckt der Baggerfahrer nur mit den Schultern. „Ja, lange Geschichte“, sagt er und fährt weiter. Wenn alles glatt geht, findet die lange Geschichte bald ein Ende. Dann nämlich, wenn der Unterstand, den viele Birkacher als Zumutung empfinden, verglast ist.

Seit Jahren fordern Stimmen im Stadtbezirk eine wind- und wetterfeste Feierhalle für den Birkacher Friedhof. Seit Jahren wurde seitens der Verwaltung abgewunken. Die Stadt gab zwar 2014 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, aber mit ernüchterndem Ergebnis für die Birkacher: Eine Verglasung sei die einzige Option – doch mit circa 50 000 Euro zu teuer. Bei knapp 40 Beerdigungen im vergangenen Jahr auf dem kleinen Gottesacker im Herzen von Birkach sei das eine zu hohe Investition.

Nun ist plötzlich alles anders. Die wetterfeste Feierhalle ist zum Greifen nah. Auf der Vorschlagsliste der Stadt für den Doppelhaushalt 2018/19 stehen 60 000 Euro für den Wetterschutz. Zwar fällt der endgültige Beschluss über die Ausgaben der nächsten zwei Jahre erst kurz vor Weihnachten. Doch die Verglasung der Feierhalle gilt bereits jetzt als gesetzt. „In der Regel wird es klappen“, sagt der CDU-Stadtrat Carl-Christian Vetter. Von seiner Fraktion sei kein Gegenwind zu erwarten. Ebenso wenig von der SPD, wie die Stadträtin Maria Hackl zu verstehen gibt. Sie erwartet einen positiven Beschluss. Ähnliche Worte kommen von Gabriele Munk, Stadträtin der Grünen. „Ich bin mir sicher, dass die Feierhalle Birkach dieses Jahr bewilligt wird. Wir Grünen setzen uns dafür ein.“ Einzig das Konzept der Verglasung sei „gestalterisch noch nicht ausgeschöpft“.

Sie kennt diesen Ort ähnlich gut wie Ureinwohner

Auf dem Friedhof, wo der Bagger werkelt, steht Simone Schaber, in Schal und Mantel eingepackt. Sie ist auch nicht überzeugt von einer gläsernen Feierhalle. Sie ist keine Birkacherin, sondern wohnt in Berglen bei Winnenden. Doch den Birkacher Friedhof kennt sie ähnlich gut wie die Ureinwohner. Simone Schaber hat dort in den vergangenen Monaten viel Zeit zugebracht, sie hat auf den Bänken gesessen oder im Gras, sie hat mit Passanten geplaudert, kurz: Sie hat recherchiert, was der Friedhof für die Birkacher bedeutet. Simone Schaber ist Architekturstudentin an der Hochschule für Technik in Stuttgart. Und sie hat eine Lösung für die Feierhalle Birkach als Thema für ihre Bachelorarbeit gewählt. Wie 21 weitere Stundenten.

Der Professor, Stefan Zimmermann, lebt in Sillenbuch und hat die Berichterstattung unserer Zeitung über die Querelen mit der Feierhalle in Birkach aufmerksam verfolgt. „Auf der Suche nach Themen für unsere Studierenden hat sich das angeboten“, teilt er auf Nachfrage mit. „Das Architektonische und in diesem Fall besonders das Atmosphärische soll dabei aber nicht vernachlässigt werden, vielmehr sind Konstruktion und Gestalt in Einklang zu bringen.“

Auf dem Friedhof in Stuttgart-Birkach herrscht reges Treiben

Simone Schaber will ihren Entwurf nicht im Detail zeigen, aber sie erzählt davon. Glaswände kommen darin nicht vor. „Das wäre nur eine Notlösung“, sagt sie. Glas würde zusätzlich kühlen, wo sich die Trauergäste doch ausdrücklich nach mehr Wärme sehnen. Mal ganz abgesehen davon könnten die durchsichtigen Wände auch zur Vogelfalle werden. Sie zeigt ein Foto von Federpuder an Glas. Federpuder ist der Abdruck, der bleibt, wenn ein Vogel gegen eine Scheibe gedonnert ist. Das auf einem Friedhof? Simone Schaber schüttelt den Kopf. Bei ihrer Recherche vor Ort hat sie gemerkt, wie viel los ist auf dem kleinen Friedhof mitten im Ort. Alte, Mittelalte, Kinder, sie huschen nicht durch, sie verweilen mitunter. Ihre Idee ist deshalb ein Hybrid-Gebäude anstelle der Feierhalle. Ein Gebäude, in dem sich die Menschen aufhalten können. Floristen könnten mit Trauernden Kränze oder Gestecke binden, die Stadt könnte den Raum vermieten – für kleinere Konzerte oder Ausstellungen. „Damit die Leute merken: Sie brauchen keinen Todesfall, um das Gebäude zu nutzen“, sagt Simone Schaber.

Keine gute, aber die einzig denkbare Lösung

Inzwischen ist Rolf Lehmann auf dem Birkacher Friedhof eingetroffen. Der frühere Stuttgarter Wirtschaftsbürgermeister und Birkacher ist so etwas wie das Gesicht für den Kampf um eine winddichte Feierhalle. Im Bürgerhaushalt hat er mit anderen das Projekt unter die ersten 100 Vorschläge geboxt. Das Glas, sagt er, „ist keine gute Lösung, aber die einzig denkbare“.

Rolf Lehmann ist keiner, der Ideen wie die von Simone Schaber abtut, er ist offen, interessiert. Aber er ist mit seinen 80 Jahren fast doppelt so alt wie die angehende Architektin, und er sagt: „Ich kenn’ meine Stadt.“ Im Frühjahr hätte er selbst nicht daran geglaubt, dass es die Feierhalle auf die Liste der Verwaltung schafft und dass die großen Fraktionen im Gemeinderat signalisieren, die 60 000 Euro für Birkach durchzuwinken. Was sich derzeit anbahnt, ist mehr, als er je zu hoffen gewagt hat.

Einen Neubau wird die Stadt für den Birkacher Friedhof nicht springen lassen. Deshalb möchte er zurzeit kein weiteres Aufhebens um die Sache machen und einfach still abwarten, bis die endgültige Entscheidung fällt. Die Entscheidung, die einer langen Geschichte ein Ende setzen dürfte.