Wege auf denen Radfahrer in Stuttgart schnell und gefahrlos ans Ziel kommen, sind in Stuttgart noch Mangelware (Symbolbild). Foto:  

Er kämpft gegen den inneren Schweinehund, aber vor allem mit schlechten Straßen und rücksichtslosen Autofahrern: Der Politikredakteur Willi Reiners fährt mit dem Rennrad zur Arbeit. Auf welche Probleme er dabei stößt und warum es ihn trotzdem glücklich macht, beschreibt er in einem Erfahrungsbericht.

Stuttgart - Morgens um 6.30 Uhr grüßt in Frühdienstwochen der innere Schweinehund. Er wartet schon an der Steige zwischen Hedelfingen und Ruit. Zwei- bis dreimal in der Woche sitzt er dort und grinst. Es ist noch dunkel. Die ersten Pendler rollen scheinbar mühelos von den Fildern hinab ins Neckartal. Hinauf muss man pumpen. Dafür ist man nach dem knackigen Anstieg von bis zu 20 Prozent selbst bei Minusgraden warm. Man grüßt sich kurz – Pendlersolidarität. So viel Luft ist grad noch.

Es geht von Uhlbach nach Möhringen-Ost. Eine Hauptradroute weist die Möchtegern-Rad-Metropole Stuttgart dafür bislang nicht aus. Dabei geht es in Richtung Uni Hohenheim, alte Daimler-Zentrale, Pressehaus und Flughafen, immer der peripheren, aber wichtigen Buslinie 65 (Obertürkheim –Plieningen) nach. Für Pedaleure würde die direkte Verbindung über die Hedelfinger Filderauffahrt führen, aber das geht gar nicht. Es gibt keinen Radstreifen, Pkw liefern sich Rennen und überholen mit Tempo 100. Lkw halten viel zu wenig Abstand. Lebensgefährlich ist das.

Mit dem Rennrad sind alternative Wegstrecken rar, es muss ja Teer sein. Die Route Ruit-Kemnat-Hohenheim bietet sich an, sie ist aber auch mehr oder weniger konkurrenzlos. Kürzer wäre eine Streckenführung über Rohracker und Sillenbuch, aber das ist etwas für Cross- und Mountainbikes, weil es teils über Schotter und Splitt durch den Wald geht. Außerdem fehlt auf der Höhe eine direkte Verbindung zwischen Sillenbuch und Schönberg beziehungsweise Hoffeld. Der Kleinhohenheimer Bach erzwingt einige Umwegkilometer.

Lesen Sie hier: Vor diesen Herausforderungen stehen Radpendler in Stuttgart

Es geht also über Ostfildern, über Wirtschaftswege und Nebenstraßen mit wenig Verkehr. 14,8 Kilometer sind es insgesamt. Höchster Punkt 428 Meter, tiefster Punkt 226 Meter. Gesamtsteigung 281 Meter auf einer Länge von insgesamt 3,9 Kilometer. Diese Zahlen weist der Radroutenplaner von Stadt Stuttgart und VVS aus.

Als Pendler mit Rennrad kennt man jedes Schlagloch

Die Nebenstrecken sind teils in grottenschlechtem Zustand. Im Steinprügelwald, kurz vor dem Ruiter Krankenhaus, aber noch auf Stuttgarter Stadtgebiet, wird die Straßendecke seit Jahren nur notdürftig geflickt. Man kennt jedes Loch, und das muss man auch, denn wenn man reinfährt, ist die Felge hinüber. Von weiteren Sturzfolgen ganz zu schweigen. Nach jedem Winter ist es dasselbe Spiel – man wartet auf die Reparatur der neuen Löcher. Und es kann lange dauern, bis sich das Straßenbauamt erbarmt.

Vorsicht ist auch am Ruiter Kreisverkehr im Verlauf der Stuttgarter Straße angebracht. Die meisten Autofahrer wollen möglichst ohne Geschwindigkeitsverlust hinüber. Als Radler wird man oft ignoriert. Man quert den Kreisel deshalb besser erst nach Blickkontakt mit dem einfahrenden Fahrer. Es sei denn, man ist lebensmüde. Aber das gilt ja für den gesamten Großraum: Echte, vom Autoverkehr getrennte Radwege sind Mangelware. Und zu viele Verkehrsteilnehmer auf vier Rädern sind Radler nicht gewohnt, sie rechnen einfach nicht mit ihnen. Ohne Rücksicht auf Verluste sind nur die wenigsten Autofahrer unterwegs.

Zeitlich so schnell wie mit dem ÖPNV

Als Radpendler ist man in Stuttgart nicht allein. Ihre Zahl steigt beständig, viele Autofahrer satteln um, weil sie es leid sind, sich morgens und abends im Stau zu ärgern. Von den oberen Neckarvororten sind vergleichsweise wenige Radpendler in Richtung Südwesten unterwegs. Das bergige Terrain schreckt ab. Zudem verlangt die sportliche Anstrengung nach einer Dusch- und Umkleidegelegenheit am Arbeitsplatz. Doch wer die Herausforderung annimmt, fährt im direkten Zeitvergleich mit Bus und Bahn keinesfalls hinterher.

Wenn es gut läuft, braucht man mit dem 65er Bus und mit der U3 etwa 45 Minuten vom Bahnhof Obertürkheim bis zur Haltestelle Landhaus. Mit der S1 über Vaihingen und der U3 sind es 50 Minuten. 45 Minuten muss man auch mit dem Rad einplanen, wobei Amateursportler und E-Biker sicher auch schneller ans Ziel kommen. Fixer ist man nur mit dem Auto, das gut rund 35 Minuten braucht. Bloß, mit dem Auto fühlt man sich hinterher nicht so gut.