Die junge Frau hat vor Gericht nichts zu der Attacke ihres Bruders auf sie ausgesagt. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Sie hat vor dem Stuttgarter Landgericht nichts zu der Attacke ihres Bruders auf sie ausgesagt. Trotzdem hat die 21-Jährige den Bruder schwer belastet.

Stuttgart - Sie habe einen Pfiff gehört, aufgeschaut und den hasserfüllten Blick ihres jüngeren Bruders gesehen. Dann habe er angefangen, mit einem Baseballschläger auf sie einzuschlagen. Vor der 4. Jugendstrafkammer des Landgerichts sagt die 21-jährige Frau nichts zu dem, was ihr am Morgen des 15. Juli vorigen Jahres widerfahren ist. Sie macht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, denn auf der Anklagebank sitzt ihr Bruder. Trotzdem belastet das schweigsame Opfer den Bruder schwer.

Die beiden Vernehmungen, die die Polizei nach der brutalen Attacke an dem Stadtbahnhalt Hohensteinstraße in Zuffenhausen mit der Frau geführt hat, dürfen nicht verlesen werden. Das Opfer, das von Anwalt Markus Okolisan in der Nebenklage vertreten wird, hat dem widersprochen. Die Aussage des Amtsrichters, der die Frau noch am Tattag befragt hat, kann sie nicht verhindern.

Nach islamischen Recht zwangsverheiratet?

Der Vernehmungsrichter sagt im Zeugenstand, die Frau habe einen resignierten Eindruck auf ihn gemacht. Über ihre Familie, die Eltern stammen aus Afghanistan, habe sie damals gesagt: „Was glauben die denn, wo wir hier sind? Wir leben doch in Deutschland.“

Laut der jungen Frau, wie sie sich bei ihrer richterlichen Vernehmung geäußert hat, gehe es ihrer Familie um „Ehre und Stolz“. Der Hintergrund: Die 21-Jährige soll mit einem Cousin in den USA nach islamischem Recht verheiratet worden sein. Von Zwangsheirat ist die Rede. Im Oktober 2018 war sie zu dem Mann in die USA geflogen. Dort sei ihr von ihrer Tante der Pass abgenommen worden.

Nach einer Woche habe sie es mit der Hilfe ihrer Cousine geschafft, wieder nach Stuttgart zu fliegen. Dort sei sie vier Wochen lang von ihrer Familie eingesperrt worden. Sie habe die Fäuste ihres Bruders gegen den Kopf bekommen, zitiert der Amtsrichter ihre Aussage. Sie habe den großen Hass des Angeklagten gespürt. Schließlich habe sie vorgegeben, doch wieder in die USA zu ihrem Mann zu fliegen. Tatsächlich ging sie am Flughafen zur Polizei und suchte Hilfe. In der Folge sprachen Polizeibeamten bei der Familie vor. Genützt hat es offensichtlich nichts. Der jüngere Bruder attackierte seine Schwester mit einem Baseballschläger.

„Er soll sich schämen“

Eigentlich habe sie gar keine Anzeige erstatten wollen, so die 21-Jährige, die inzwischen allein lebt. Sie befürchtete, so der Richter, der ihre Aussage damals aufgenommen hatte, eine Anzeige würde ihre Familie nur noch mehr provozieren. Es könne aber nicht sein, dass sie am helllichten Tag auf offener Straße angegriffen werde. Ihr Bruder solle sich seiner Tat stellen und: „Er soll sich schämen.“

Der Angeklagte würdigt seine Schwester, die vor Gericht nur kurz darüber Auskunft gibt, wie es ihr heute geht, keines Blickes. Während ihrer Aussage blickt er abwechselnd demonstrativ zu seiner Familie im Zuschauerraum, an die Decke und an die Wand.

„Mir kam die Frau sehr authentisch vor“, sagt der Amtsrichter. Sie habe zu ihm gesagt, wenn sie abhaue, würde ihre Familie sie umbringen. Sie habe auch gemutmaßt, ihr jüngerer Bruder sei vorgeschickt worden. Das allerdings bestreitet der 19-Jährige. Er habe allein gehandelt und er habe eigentlich dem Freund der Schwester eine Abreibung verpassen wollen. Dann jedoch brach er ihr mit den Schlägen das Jochbein. Der emotional aufgeladene Prozess wird fortgesetzt.