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Täter nehmen Masten ins Visier - Tausende CMT-Besucher von Zugausfällen betroffen.

Stuttgart - Anschläge auf Bahnstrecken gibt es nicht nur in Berlin: Auch die S-Bahn in Stuttgart ist ins Visier unbekannter Straftäter geraten. Nach Informationen unserer Zeitung wurden auf den Fildern gleich zweimal binnen weniger Tage Oberleitungsmasten angesägt.

Die Tatorte liegen in einem Waldstück im Süden Stuttgarts. Der jüngste Fall spielte sich zwischen den Haltestellen Rohr und Oberaichen ab. Am Dienstag war die etwa 1,3 Kilometer lange Schienenstrecke stundenlang gesperrt, weil Unbekannte einen Oberleitungsmast angesägt hatten. Eine Strebe hing noch - nicht auszudenken, hätte eine S-Bahn der Linie S2 oder S3 den Mast mit der 15 000-Volt-Stromleitung vollends mitgerissen.

Die Folgen für den S-Bahn-Verkehr auf den Fildern am Dienstag waren am Dienstag fatal. Ausgerechnet zur Touristikmesse CMT, der größten Veranstaltung ihrer Art in Süddeutschland in der Landesmesse, und zum Flughafen fiel der S-Bahn-Verkehr zeitweise ganz aus. Die Linien S2 und S3 verkehrten auch bis zum frühen Abend nur noch eingeschränkt. Tausende Fahrgäste zur Messe und zum Flughafen mussten mittags in Ersatzbusse ausweichen.

Schon am Sonntag wurde ein Mast angesägt

Bahn AG und Bundespolizei hielten sich am Dienstag mit Stellungnahmen zurück. Den Fahrgästen wurde lediglich mitgeteilt, dass es zwischen Rohr und Filderstadt „Einschränkungen wegen einer Oberleitungsstörung“ gebe. Die Strecke sei nur eingleisig befahrbar. „Ich kann nur sagen, dass die Bundespolizei ermittelt“, erklärte ein Bahnsprecher in Stuttgart. Steffen Zaiser, Sprecher der Bundespolizei, sagte zunächst , dass derzeit ermittelt werde, „ob Fremdeinwirkung vorliegt und in welchem Umfang“. Später bestätigt er aber die Anschläge.

Denn der Zwischenfall war nicht der erste. Unbekannte bereits am Sonntag die Säge angesetzt. Wie zu erfahren war, wurde in diesem Fall ein Oberleitungsmast komplett durchtrennt. In der Nähe, auf der abzweigenden Bahnstrecke der S1 Richtung Böblingen, war am selben Tag ein 43-jähriger Gleisarbeiter ums Leben gekommen. Beim Versuch, eine Weichenstörung zu beheben, war er von einer S-Bahn überrollt worden. Wie es in Bahnkreisen heißt, wird ein Zusammenhang ausgeschlossen. Die Ermittler hatten am Sonntag freilich alle Hände voll zu tun, als nicht nur der Unfall, sondern auch der durchgesägte Mast von Bahnmitarbeitern gemeldet wurde.

Wer hinter den beiden Anschlägen steckt und von welchen Motiven er getrieben wird, ist unklar. Die Fälle erinnern an eine Serie von Anschlägen auf Bahnstrecken in Berlin und Brandenburg, die für Aufregung gesorgt hatten. Offenbar linksautonome Täter hatten eine Reihe von Brandanschlägen verübt und Bekennerschreiben hinterlassen. Als Motiv gaben sie an, den Transport von Atomtechnik und Atommüll sabotieren zu wollen. Ein Schreiben mit dem Absender "Grollen des Eyjafjallajökull", dem isländischen Vulkan, hatte außerdem darauf verwiesen, man wolle verhindern, dass auf der Schiene "deutsche Waffensysteme in die weltweiten Kriege" gebracht werden.

Keine Bekennerschreiben bisher

Auch wenn Berlin insbesondere für Graffiti-Sprayer im Bahnbereich Vorbild ist - ein Zusammenhang mit den Stuttgarter Anschlägen gilt bisher als wenig wahrscheinlich. Denn Bekennerschreiben sind bisher offenbar noch nicht aufgetaucht.

Anschläge auf S-Bahnen im Raum Stuttgart hatten bisher freilich eine andere Qualität. Besonders aufsehenerregend war die Tat vor wenigen Wochen am zweiten Weihnachtsfeiertag, als Unbekannte am frühen Morgen in Böblingen die Gleise mit Schachtdeckel, Kabelrohre und Schottersteine blockierten. Eine S-Bahn der Linie S60 prallte dagegen, es entstand mehrere Zehntausend Euro Schaden. Ansonsten handelte es sich meist um falsch verstandene Mutproben von Kindern, die im vergangenen Jahr - etwa in Leonberg, Korntal-Münchingen, und Stuttgart-Zuffenhausen Steine auf die Gleise legten. Betroffen war auch Stuttgart-Vaihingen, als Unbekannte Ende April eine Puppe von einer Straßenbrücke auf eine S-Bahn warfen und einen Großeinsatz auslösten. Zunächst war ein Baby als Opfer befürchtet worden.

Dabei ist die Zahl der gefährlichen Eingriffe in den Bahnverkehr in Baden-Württemberg rückläufig. Die Bundespolizei registrierte 2009 insgesamt 402 Fälle, 2010 waren es nur 316. Für das Jahr 2011 wurde eine weiter sinkende Tendenz festgestellt.

Bei der Konzernsicherheit bei der Bahn AG in Berlin haben die Vorkommnisse Betroffenheit ausgelöst. Gleichwohl könne man noch nichts dazu sagen, erklärte Sprecher Jens-Oliver Voß auf Anfrage unserer Zeitung. Jüngst hatte sich das zuständige Bahn-Vorstandsmitglied Gerd Becht zu der Thematik geäußert: "Gegen Anschläge auf Bahnstrecken hilft kein Zaun und keine Videoüberwachung", sagt er im Zusammenhang mit den Berliner Anschlägen. Gleichwohl wurde das bahneigene Sicherheitspersonal bundesweit von 3200 auf 3700 Leute aufgestockt, der Etat für Sicherheit auf 160 Millionen Euro jährlich festgeschrieben. Doch um Einblicke in Täterkreise zu bekommen, so Becht, "sind freilich die staatlichen Behörden gefordert".

Ermittelt wird wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr. Wer Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet, heißt es im Gesetz, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft.