Der Angeklagte kann sich kaum an die Messerattacke auf seinen Stiefvater erinnern. Foto: dpa

Manchmal hört er Stimmen. Trotzdem nimmt der Mann seine Medikamente nicht. Jetzt steht er wegen versuchten Totschlags in Stuttgart vor Gericht.

Stuttgart - Dem Mann im Zeugenstand versagt die Stimme. Hans-Georg Rummel, Vorsitzender Richter der 19. Schwurgerichtskammer des Landgerichts, springt dem 49-Jährigen zur Seite: „Ich merke, das Ganze wühlt Sie auf.“ Der Mann ist Opfer einer Attacke mit einer bajonettartigen Stichwaffe geworden. Der mutmaßliche Täter soll sein Stiefsohn sein.

Dieser Stiefsohn, ein 26 Jahre alter Mann aus Stuttgart, sitzt auf der Anklagebank und verfolgt die Aussage seines Stiefvaters ohne erkennbare Regung. „Eigentlich habe ich ein Riesenglück gehabt“, sagt der Stiefvater. Das Bajonett war unter seiner Achsel in den Körper eingedrungen und war bis zum Schlüsselbein geschoben worden. Körperlich habe er den Vorfall gut überstanden, sagt der Zeuge. Nur psychisch habe er noch Probleme. „Es kommt halt immer wieder hoch“, sagt der gestandene Mann mit stockender Stimme.

Alle drei Männer kamen in Kliniken

Am Nachmittag des 20. Dezember 2018 hatte sich der Angeklagte per Handy bei seiner Mutter angekündigt. Weil er alkoholisiert gewesen sei, wollte ihn die Mutter nicht in die Wohnung in Bad Cannstatt lassen. Also ging man spazieren und setzte sich auf eine Bank. Da sich der Sohn schon in der Vergangenheit immer wieder als unberechenbar gezeigt hatte, informierte die Frau ihren Ehemann. Der kam gegen 17 Uhr mit dem gemeinsamen Sohn dazu.

An das, was dann gesprochen wurde, kann sich der Stiefvater nicht mehr erinnern. Offenbar schwelte seit geraumer Zeit ein Streit, weil der Angeklagte in regelmäßigen Abständen aus der Familienwohnung geflogen war – was er sich laut seines Verteidigers Markus Bessler gar nicht erklären konnte. Vor der Tat hatte er bei seiner Großmutter und zuletzt in Sozialunterkünften gelebt.

Plötzlich sei der 26-Jährige aufgestanden, habe in die Jacke gegriffen und in einer kreisförmigen Bewegung auf ihn eingestochen, sagt der Stiefvater. Sein Sohn, also der Halbbruder des Angreifers, sei mit einem Taschenmesser dazwischengegangen. Auch der Halbbruder wurde durch Stiche verletzt. Dabei hat er offenbar noch Glück gehabt, weil ein Turnbeutel, den er auf dem Rücken trug, einige Stiche abgefangen hat. Schließlich schaffte es die Mutter, den 26-Jährigen zu entwaffnen. Alle drei Männer kamen mit teilweise schweren Verletzungen in verschiedene Kliniken.

„Mein Mandant hat an den Vorfall keine genaue Erinnerung mehr“, sagt Verteidiger Bessler. Es tue dem 26-Jährigen sehr leid, er wolle sich bei seiner Familie entschuldigen. Er habe wohl das Gefühl gehabt, sein Stiefvater wolle ihn loswerden, und seine Mutter halte zu ihrem Mann.

Mit Messer auf die Großmutter losgegangen

Vor der 19. Strafkammer kommen weitere Ausraster des berufslosen Mannes zur Sprache. Im Oktober vorigen Jahres soll er mit einem Messer auf seine Großmutter losgegangen sein. Danach habe er die Haustür demoliert. In der Folge verbrachte er sechs Tage im Zentrum für seelische Gesundheit in Bad Cannstatt. Vor Gericht sagt der Mann, er höre seit geraumer immer wieder Stimmen.

Wenn er ein Buch lese, kommentierten die Stimmen den Inhalt. Sie würden laute Zwischenrufe setzen und ihm profane Dinge wie das Schließen des Rollladens auftragen. „Ich habe in der letzten Zeit sehr viel Alkohol getrunken, um den Kopf freizubekommen“, sagt er. Ab und zu rauche er auch Marihuana. Das sei seine Strategie gegen die Stimmen in seinem Kopf.

Medikamente? Von denen habe er fast 20 Kilogramm zugenommen, er vertrage sie nicht, sagt der 26-Jährige. Auch nach dem Aufenthalt in der Cannstatter Psychiatrie habe er seine Medikamente abgesetzt. Zwei Monate später kam es dann zu der Attacke auf seinen Stiefvater und seinen 17-jährigen Halbbruder.

Es wird vermutet, der Angeklagte leide unter Schizophrenie. Dann würde er vom Angeklagten zum Beschuldigten werden, der nicht bestraft, aber untergebracht werden kann. Der Prozess wird fortgesetzt.