Auf Linie 2 am Stuttgarter Westbahnhof um 1915: Martha Fuchs inmitten verbliebener männlicher Straßenbahner. Gegen Kriegsende wurde selbst Mantelstoff so knapp, dass die Frauen außer der Dienstmütze oft ihre Privatkleidung tragen mussten. Foto: SSB/Sammlung Erwin Gayer

Straßenbahnfahrer aus 19 Ländern treten an diesem Samstag. 5. Mai, bei der Tram-EM in Stuttgart an. Ihr Beruf übt seit Generationen eine besondere Faszination aus. Die SSB feiern den 150. Geburtstag. Unser Stuttgart-Album gratuliert mit historischen Fotos.

Stuttgart - Beim Steuern der Stadtbahn beträgt der Anteil der Frauen in Stuttgart etwa 13 Prozent. Die Fahrerin Viola Diederichs vom Betriebshof Möhringen wird an diesem Samstag im Team der Gastgeber um den Pokal kämpfen, wenn sich 24 Mannschaften aus 19 Ländern in skurrilen Disziplinen wie Fahren mit verdeckten Tachos oder Spielen mit überdimensionalen Bowling-Kugeln messen (Beginn um 10 Uhr auf dem SSB-Betriebshof in Möhringen, Schockenriedstraße 50, Eintritt frei). Anlass für den Austragungsort der Straßenbahner-Europameisterschaft in Stuttgart ist der 150. Geburtstag der SSB.

Blicken wir zurück. Im Ersten Weltkrieg ist die Männerdomane gefallen. Erstmals durften in Stuttgart Frauen Straßenbahnfahrerinnen werden – aber nur vorübergehend. Weil Männer an der Front waren, kam die Straßenbahn nur noch mit Frauen voran. In Friedenszeiten wollten die damaligen SSB-Chefs nichts mehr davon wissen. Erst 1972 wurde das anders. Da wurden bei der Stuttgarter Straßenbahn AG (SSB) erstmals Fahrerinnen auf der Schiene ausgebildet.

Mit zwei PS fing vor 150 Jahre alles an

Die Journalistin Henny Jansen-Csapo hat als Mitglied der Landespressekonferenz damals die Straßenbahnfahrprüfung gemacht. „Zu dieser Zeit dachte ein Beamter im Arbeitsministerium, während der Menstruation der Frauen sei die Sicherheit in der Bahn nicht gewährleistet“, erinnert sie sich.

„Wir mussten Weichen aus dem Wagen stellen“, erzählt sie, „und bei Vollbremsungen rieselte der Sand.“ Frau Jansen-Csapo hatte sich an den damaligen Arbeitsminister Walter Hirrlinger gewandt, der nicht wusste, dass man in seinem Haus Anträge der SSB blockiert hatte, die Frauen als Fahrerinnen einsetzen wollten. Auf die Initiative der Journalistin reagierte der Politiker umgehend. „ Ein halbes Jahr später durften Frauen bereits die Prüfungen für die Straßenbahn und Busse machen“, weiß Henny Jansen-Caspo noch ganz genau.

Mit zwei PS fing vor 150 Jahren alles an. Eine Pferdebahn ist der Ursprung der SSB. Am 29. Juli 1868 begann, was aus damaliger Sicht eine Revolution war. Zwei Pferde zogen den Wagen vom Staatsarchiv an der Neckarstraße (heute Konrad-Adenauer-Straße) bis zum Kurbad in Berg. Kaum zu glauben: Schon 1887 prangte auf der Pferdebahn Schokoladenwerbung. Im Jahr 1890, so steht’s im Geschäftsbericht, waren 257 Pferde im Einsatz für die SSB – damit also für den öffentlichen Nahverkehr.

Das neue Buch zum Stuttgart-Album ist da

Bereits 1895 hat man die Rösser ausgespannt und die erste elektrische Strecke von Berg zum Charlottenplatz eröffnet. Als die Pferdebahn auf elektrischen Betrieb umgestellt worden ist, hat dies die Gemüter so sehr erhitzt wie heute das Bahnprojekt Stuttgart  21.

Die 1959 zum ersten Mal ausgelieferten, in Esslingen produzierten Straßenbahntriebwagen vom Typ GT4 sind heute noch die Stars in den Erinnerungen vieler Stuttgarter. Im ehemaligen Straßenbahnbetriebshof Bad Cannstatt, in der Straßenbahnwelt, kann die gute, alte Strampe bewundert werden, die 2007 ausrangiert worden ist und endgültig Platz für die Stadtbahn gemacht hat. Das Jubiläumsjahr 2018 ist ein großes Jahr für alle Strampe-Fans!

Mehr über die Geschichte der Straßenbahn steht in dem neuen Buch „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“, das kürzlich im Sutton-Verlag erschienen ist. Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart.