Wird ein Investor eine neue Schleyerhalle bauen, weil die Stadt kein Geld hat? Darüber wird hitzig diskutiert. Wir blicken auf die große Zeit dieser 42 Jahre alten Arena.
Netzstrümpfe mit High Heels, glitzernde Miniröcke oder hautenge Lederhosen – ihre Fans lagen Tina Turner in Stuttgart zu Füßen, als die Queen of Rock in knackigen Klamotten und mit Hits wie „Private Dancer“ oder „Proud Mary“ die Bühne eroberte und ihr Publikum mit viel Power in einen Massenchor verwandelte. Viermal hintereinander hat die US-Amerikanerin im Mai 1987 die Schleyerhalle in Stuttgart gefüllt und damit für Jahrzehnte den Saalrekord gehalten (bis Helene Fischer in dieser Arena fünfmal für ein „Ausverkauft“ sorgte).
Die Tour der vor zwei Jahren gestorbenen Tina Turner nannte sich damals „Break Every Rule“ („Breche jede Regel!“). Die US-Sängerin brach selbst die Regeln, wonach etwa Frauen über 50 Jahren angeblich keine sexy Outfits tragen dürfen und für eine Weltkarriere eigentlich zu alt sind. Die vier Konzerte in Stuttgart begannen mit „What You Get Is What You See“. Auch der Hit „Help“ von den Beatles stand auf der Set-Liste. Die Abende endeten mit „Notbush City Limits“ und „Paradise is Here“. Der Eintritt kostete damals 35 D-Mark für einen Stehplatz im Innenraum.
Joe Bauer schrieb 1983: „In Stuttgart beginnt eine neue Ära“
Blicken wir ins Jahr 1983 zurück, als Stuttgart zur Schleyerhalle kam, die damals als hochmodern gefeiert wurde und heute als Dinosaurier unter den Hallen in Deutschland gilt. 1983 geht als Jahr des Aufbruchs in die Stadtgeschichte ein. 1983 war Stirlings Staatsgalerie fast fertig, die Stadt bekam ein neues Kammertheater, in Wangen machte sich eine Kulturfabrik mit dem Namen Theaterhaus zum Start bereit – und auf dem Wasen fuhren Trucks 120 Tonnen Technik in eine eben fertiggestellte Arena, um darin den ersten großen Rockzirkus mit der kanadischen Band Saga zu feiern. Joe Bauer notierte am 4. Oktober 1983 in den Stuttgarter Nachrichten: „In Stuttgart beginnt eine neue Ära!“
Die Halle galt als „größte in Europa“
Konzertveranstalter Michael Russ war glücklich. Von nun an, frohlockte er, würden die „großen Acts“ nicht mehr an Stuttgart vorbeiziehen. Zuvor hatten die Könige der Popwelt Dortmund (die Westfalenhalle) und München (die Olympiahalle) im Visier. Schon 1979 war im Stuttgarter Gemeinderat der Grundsatzbeschluss für die Sport- und Konzerthalle gefallen, die man nach dem ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer benannte. 44 Millionen Mark sollte der Neubau kosten – am Ende waren es 68 Millionen Mark.
Am 4. Oktober 1983 sollte die neue Halle, die mit 10 300 Zuschauerplätzen als „größte in Europa“ galt, ihre Bewährungsprobe als Rockbühne bestehen. Als erste Band rockten die Kanadier von Saga los. Das Ergebnis fiel zwar nicht euphorisch, aber dochganz ordentlich aus. Der Zeitungskritiker Reinhold Utzmeter urteilte: „Die Schleyerhalle ist, was die Akustik betrifft, nicht besser oder schlechter als vergleichbare Hallen in Dortmund, Frankfurt oder München. Wer es im Innenraum länger aushalten will, wird auf Ohropax nicht verzichten können.“ Der Band Saga bescheinigte er „eine perfekte Show, in der Gitarren-Spagate, Nebeleffekte und Macho-Posen des Sängers, einer schicken Diva im weißen Overall, nicht fehlen dürfen“.
Dreimal ausverkauft bei Phil Collins
In 42 Jahren hat die Schleyerhalle viele Auf- und Absteiger erlebt. Bei den ersten Auftritten von Nena im Jahr 1984 und Kool & The Gang im Jahr 1986 war die Poparena ausverkauft. 1984 musste wegen großer Nachfrage das Konzert der Scorpions von der Sporthalle Böblingen in die Schleyerhalle verlegt werden.
Viermal ausverkauft bei Tina Turner vom 4. bis zum 7. Mai 1987, dreimal hintereinander bei Phil Collins im Jahr 1993. Im selben Jahr traten hier zum ersten Mal Stuttgarter an: Die Fantastischen Vier feierten ein euphorisch bejubeltes Heimspiel, das seitdem vor Weihnachten stets wiederholt. Selbst geheiratet wurde hier. 1997 feierte ein türkisches Brautpaar mit 1200 Gästen – an Platz zum Tanzen fehlt es im 4000 Quadratmeter großen Innenraum nicht.
Für Luciano Pavarotti waren alle Sessel zu eng
Eine der größten Herausforderungen für die Hallenbetreiber war Ende der 1980er Opernstar Luciano Pavarotti. Vor seinem Auftritt ließ sich kein Sessel auftreiben, in den der wohlbeleibte Italiener gepasst hätte. Als Neil Diamond im Juli 1984 vor halbvoller Halle sang, mussten Vorhänge die leeren Sitzreihen verdecken. Der US-Sänger fand’s gar nicht lustig. Fast hätte im Februar 1987 die Rockgruppe Deep Purple ohne ihren Gitarristen Ritchie Blackmore auskommen müssen. Der Musiker hatte seinen Hallenpass vergessen und wurde beim Zutritt von einem Ordner festgehalten.
Von Dire Straits bis Paul McCartney, von Robbie Williams bis Elton John, von Cher bis Barclay James Harvest – die Besucherliste ist ein Who’s who der Popgeschichte. Aber auch Sportgrößen wie Boris Becker (beim ATP-Turnier) waren hier. Bei der Niederlage von Boxer Axel Schulz im Dezember 1995 im WM-Kampf gegen François Botha flogen im Publikum die Fäuste und die Flaschen – der damalige OB Manfred Rommel musste den Kopf einziehen.
Wie Gotthilf Fischer mit der falschen Queen hereingelegt wurden
TV-Moderator Thomas Gottschalk wäre lieber nicht gekommen. Der Betrug mit Buntstiften in „Wetten, dass . .?“, 1988 live aus der Schleyerhalle gesendet, hat Fernsehgeschichte geschrieben. Für die Verantwortlichen angenehmer fiel die kleine Schummelei aus, die sich Kurt Felix im Eröffnungsjahr 1983 für seine Show „Verstehen Sie Spaß?“ mit Chordirigent Gotthilf Fischer erlaubte. Mittenrein in die Schleyerhalle ließ er eine Mercedes-Limousine steuern, während Fischer und sein Chor probten. Aus dem Auto stieg eine Dame, die alle erstarren ließ – doch es war ein Double der Queen.
Am 2. Juli will Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) den Aufsichtsrat der Schleyerhalle über seine Vorstellungen zum Neubau ins Bild setzten. Vor zwei Jahren war den Stadträten eine Machbarkeitsstudie präsentiert worden, die einen Ersatzneubau am selben Standort vorsieht. Die neue Arena soll größer und höher werden – mit 33,5 Meter in der Spitze könnte sie Decke fast an das Dach des Fußballstadions (MHP-Arena) reichen.
Die Veranstaltungsgesellschaft sagt: Nur ein Neubau sichert die Konkurrenzfähigkeit
19 000 statt bisher 15 500 Zuschauer sind bisher gesetzt, bestuhlt und mit Kopfbühne sollen 15 000 statt bisher 11 745 Menschen einen Platz finden. Nur ein Neubau sichere auf Dauer die Konkurrenzfähigkeit, argumentiert die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart, hole internationale Konzerte und sportliche Topevents nach Stuttgart. Wird ein privater Investor beim Neubau helfen, den die Stadt momentan nicht alleine meistern kann?
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