Johannes „Strachi“ Strachwitz mit einem alten T-Shrt, das Firmengeschichte seiner Agentur 0711 geschrieben hat: 1998 hat er sich das Stück in Hamburg gekauft, als die Warner Music Group den Vertrag für seine Band Massive Töne unterschrieben hat. Foto: /Lichtgut/Max Kovalenko

Vom 28. bis 30. Juli kehren die Hip-Hop Open in die „Mutterstadt“ zurück, in die Wiege des deutschen Raps. Vor 23 Jahren hat Johannes „Strachi“ Strachwitz das Festival miterfunden. Wir sprachen mit ihm über die Anfänge und blicken in die Zukunft.

Wer in den 90ern in Stuttgart aufgewachsen ist, dem könnten diese Textzeilen noch im Kopf stecken: „Willkommen in der Mutterstadt, der Motorstadt am Neckar, Mekka für Rapper, zu viele meckern.“ Dieser Song der Massiven Töne trägt den Titel „Mutterstadt“. Darin verrät die Band, wen sie hasst: nämlich den Banker, „der beim Keplerstraßen-Checker ’n Päckchen Gras sucht, abends gediegen in Paul’s Boutique mit dem Sektglas groovt und sagt, dass er seine Stadt eigentlich gar nicht mag“.

 

Zu dieser Zeit gab es viele Gründe, Stuttgart kritisch zu sehen – aber noch mehr, Stuttgart zu mögen. Die Stadt gilt als die Geburtsstätte des deutschen Hip-Hop. Die Fantastischen Vier, Freundeskreis, Afrob, die Massiven Töne und viele weitere „aus dem Schoße der Kolchose“ haben das, was Hip-Hop-Fans noch heute als „Golden Era“ des deutschen Raps bezeichnen, mitgeprägt. Und immer mit dabei war Johannes „Strachi“ Strachwitz von der Agentur 0711, der am 15. Juli 2000, am Tag der ersten Hip-Hop Open auf dem Pragsattel seinen 27. Geburtstag gefeiert hat.

Los ging’s auf dem heutigen Parkplatz des Theaterhauses

Vor anderthalb Wochen ist „Strachi“ also 50 geworden. Der Musikmanager, der den deutschen Hip-Hop in Stuttgart vorangebracht und das Nachtleben im Kessel entscheidend mitgeprägt hat, erinnert sich im Gespräch mit unserer Redaktion: „Zum zehnjährigen Bestehen der Fantastischen Vier sollte eine Geburtstagsfeier auf dem Schlossplatz stattfinden – doch die Stadt hat’s nicht genehmigt. Stattdessen schlug man uns vor, wir könnten doch mit dem SWR ein Festival veranstalten. Wir von 0711 und Four Artists haben uns mit dem Sender getroffen. Doch das funktionierte nicht. Wir haben’s abgesagt. Daraufhin haben wir beschlossen, wir machen was Eigenes.“

Mit dem Sender MTV ist dies gelungen. Als Spielort findet man eine Freifläche auf dem Pragsattel, direkt an der 1923 erbauten Rheinstahlhalle. Heute ist dieses Gelände der Parkplatz des Theaterhauses, das in der früheren Rheinstahlhalle seit 2003 zu Hause ist. Die ersten Hip-Hop Open starten am 15. Juli 2000, an Strachis Geburtstag. Die Absoluten Beginner, die FK Allstarts, Massive Töne und auch die Fünf Sterne Deluxe treten auf. Max Herre beginnt seinen Part mit dem Freundeskreis-Klassiker „Esperanto“. Mit 14 000 Besuchenden ist das Festival zehn Tage vor Veranstaltungstermin komplett ausverkauft. Die Fans feiern von morgens um 10 Uhr bis abends um 23 Uhr – ohne Pause. Draußen hoffen derweil zahlreiche Fans, doch noch reinzukommen.

23 Jahre nach der ersten Ausgabe kehren die Hip-Hop Open in die Mutterstadt zurück. Vom 28. bis 30. Juli findet das Festival nach acht Jahren Pause in Stuttgart an mehreren Spielorten statt, auf dem Wasen, auf Fridas Pier sowie im Wizemann zur After-Show-Party, die doch nicht in der Schleyerhalle stattfindet. Veranstalter Matthias Mettmann, Geschäftsführer bei Chimperator Live, war im Juli 2000 bei der Premiere 17 Jahre alt und lebte in Metzingen. Es war nicht nur sein erstes Mal bei einem Festival in Stuttgart – er machte auch seine ersten Erfahrungen mit Hamburgern in der Großstadt, woran er sich amüsiert erinnert.

Jedes gute Festival hat seine besondere Geschichten, die viele Jahre später noch erzählt werden. Legendär bis heute ist der Auftritt von LL Cool J im Platzregen von Degerloch. Am 30. Juni 2001 performt der Star des US-Raps im Stadion der Kickers am Fernsehturm – dorthin ist „Strachis“ Team umgezogen – mit nacktem Oberkörper im Wolkenbruch, gut ausgeleuchtet vom Flutlicht. 2012 – inzwischen war man im Cannstatter Reitstadion angekommen – gibt’s eine Reunion der Kolchose vor 19 000 Besucherinnen und Besuchern. Auch ein junger Mann mit Maske tritt auf – Cro!

Oft haben die Hip-Hop Open ihren Standort gewechselt – im Jahr 2008 geht’s sogar nach Mannheim. Die Veranstalter haben sich über die Polizei in Stuttgart geärgert und entweichen ins Badische. „Die übertriebenen Drogenkontrollen hatten damals keine Verhältnismäßigkeit“, erinnert sich Strachwitz, „wir sagten uns, die wollen uns nicht mehr, deshalb sind wir mal weg.“ Die Bilder von in Handschellen an die Wand gestellten Teenies haben beklemmende Gefühle in der Stadt hervorgerufen.

„Die Atmosphäre war besonders familiär und freundschaftlich“

Im Juli 2012 kehrt das Festival nach Stuttgart zurück – ins Reitstadion. Bis 2015 geht es von Sommer zu Sommer weiter. Dann aber heißt es vor acht Jahren für 3000 Hip-Hop-Fans, bei bestem Wetter Abschied der Open auf dem Cannstatter Wasen zu nehmen. Auf der Homepage der Veranstalter kann man dazu lesen: „Von Marvin Baker (Opener) bis Marsimoto (Headliner) standen sich die auftretenden Acts und Bands in Sachen Energie in nichts nach – alle lieferten ihre bestmögliche Show ab und begeisterten das Publikum.“ Die Atmosphäre der stets entspannten und friedlichen Konzerttage sei beim vermeintlich letzten Mal „besonders familiär und freundschaftlich“ geworden. Jetzt kann die große Familie wieder feiern und sich freuen, dass es doch kein endgültiges Ende gewesen ist.

„Die Hip-Hop Open“, davon ist Gründer Strachwitz überzeugt, „haben eine Zukunft in Stuttgart.“ Das Festival breiter aufzustellen, sei der richtige Weg, findet er. Stuttgart habe immer noch einen sehr guten Ruf als Hip-Hop-Stadt, und deshalb gehörte dieses Festival auch hier her.

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