Diese Karte stammt aus dem Jahr 1900: „Cannstatt-Stuttgart“ steht als Ortsangabe drauf Foto: Sammlung Wolfgang Müller

Das Cannstatter Volksfest – es lebe hoch! Am Neckar wird im Herbst 2018 noch ein bisschen mehr gefeiert als sonst. Zum 200. Geburtstag des beliebten Spektakels erinnert das Stuttgart-Album mit Foto- und Kartenschätzen unserer Leser daran, wie man vor Facebook Wasengrüße verschickt hat.

Stuttgart - Wer heute in den Bierzelten sieht, wie die Kellner mit vollbeladenen Tellern und Krügen umherwuseln, mag kaum glauben, dass der Ursprung des Cannstatter Volksfestes in einer Hungersnot liegt. Ein gigantischer Vulkanausbruch auf dem heutigen Indonesien hat schon vor über 200 Jahren für eine Klimakatastrophe gesorgt. In Deutschland regnete es nur noch. Getreide verschimmelte, Kartoffeln verfaulten, nichts wollte reifen. Ernteausfälle, Armut, 1816 war das Jahr ohne Sommer – all dies brachte König Wilhelm I. dazu, die Landwirtschaft zu reformieren und ein Volksfest zu feiern.

Exakt 200 Jahre sind es nun her, dass der Monarch mit Königin Katharina das Volk erfreuen wollte. Am 28. September 1818, einen Tag nach Wihelms 36. Geburtstag, ist die Fruchtsäule auf dem Wasen errichtet worden – am noch nicht aufgestauten Neckar. Man blickte von diesem Ort auf die königliche Villa Bellevue an der Wilhelma. Das Fest mit Pferderennen beschränkte sich auf einen Tag. Es sollen 30 000 Besucherinnen und Besucher gekommen sein – also weit mehr Menschen, als in Stuttgart und Cannstatt damals lebten.

Wie man Wasengrüße vor Facebook verschickt hat

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sind Stuttgart und Bad Cannstatter immer größer geworden – und das Volksfest verlängerte sich auf immer mehr Tage. Seit Jahrzehnten sammelt Wolfgang Müller, dem unser Geschichtsprojekt Stuttgart-Album zahlreiche Fotoschätze verdankt, Postkarten vergangener Zeiten. Bei ihm ist der Anteil der Wasenmotive sehr groß, weil es früher beliebt war, Grüße vom Volksfest zu versenden – so, wie man heute über Facebook seine Fotos verbreitet, was mitunter sogar live geschieht. Die Freunde und Verwandten sollen Anteil nehmen, wenn man selbst eine gute Zeit hat. Gingen in den Anfangsjahren gezeichnete Karten in den Postumlauf, so waren es später Fotografien.

Die alten Karten beweisen: Man machte sich schön für das Volksfest, dessen Ursprung das Landwirtschaftliche Hauptfest war, lief im Sonntagsstaat an der Königsloge vorbei. Der Wasen war schon immer mehr als eine Zecherei. Er ist auch ein Jahrmarkt, ein Rummel. Und er ist ein Fitness-Training, ja eine Kraftsportveranstaltung. Zehn gefüllte Maßkrüge müssen selbst Kellnerinnen wuchten können – dabei kommt es auf die Technik an, der Krug wiegt mehr als der Inhalt – , also mehr als 20 Kilo.

Der Rekord liegt bei 14 Krügen

Festwirt Hans-Peter Grandl, der einst in München gearbeitet hat, trug maßgeblich dazu bei, dass die Lederhose und das Dirndl auf den Wasen zurückgekehrt ist. Die Schwaben würden bayerische Traditionen übernehmen, mag er nicht hören. „Längst sind Trachten internationalisiert“, sagt er. Die Tracht sorge für ein Gemeinschaftsgefühl. Noch in den 1980er Jahren seien Leute in ihren ältesten Kleidern gekommen – heute dagegen machten sie sich schön fürs Fest. Dies habe für ein „besseres Niveau“ gesorgt, freut er sich.

.„Bei uns lag der Rekord beim Tragen von 14 Krügen gleichzeitig“, erinnert sich Wirtin Conny Weitmann, die bei ihrem Vater, dem Wasen-Urgestein Walter Weitmann, gearbeitet hat. Damals trug nur das Personal Dirndl. Der Wasen ändert sich – und bleibt sich immer treu. Erstaunlich unverändert sind viele Traditionen bis heute erhalten geblieben. Die Fruchtsäule bleibt das Wahrzeichen. Und Zuckerwatte ist immer noch gut für nostalgische Freuden.

Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Geschichtsserie sind drei Fotobücher erschienen. Ganz neu ist „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.